Commissario Tron 5: Requiem am Rialto
dass
abenteuerlustige Herren hier auf ihre Kosten kamen. Es war ein
frisch renovierter Palazzo mit geöffneten Spitzbogenfenstern,
aus denen laute Musik drang, und er fragte sich, was die Anwohner
wohl dazu sagten. Die drei grell geschminkten Damen, die rauchend
vor der Tür standen, warfen nur einen flüchtigen Blick
auf ihn, als er durch den Eingang schritt. Eine von ihnen war
rothaarig, die beiden anderen brünett. Nichts für ihn.
Das Tier in ihm bestand ausdrücklich auf Blondinen.
Seine schwarze
Halbmaske hatte er bereits aufgesetzt — dieselbe, die er auch
in der Locanda benutzt hatte. Da alle Welt schwarze Halbmasken
trug, gab es keinen Grund, sie durch eine andere zu ersetzen. Nicht
dass er vorgehabt hatte, heute Abend wieder zur Sache zu kommen.
Eine Durchsuchung seiner Taschen hätte nichts zutage
gefördert, weder Messer noch Lederriemen. Er wollte sich nur
ein wenig umsehen, im Idealfall eine Verabredung treffen. Sich zu
verabreden, fand er, war so romantisch.
Die Ausstattung des
Ballsaals, die kerzenbestückten Kronleuchter und die
rötlichen Damasttapeten an den Wänden wies das Mulino
Rosso als Etablissement gehobenen Zuschnitts aus. Das
Salonorchester auf der einen Seite des Saals spielte in
Fracktoilette, und auch das Publikum hatte hier eine andere
Zusammensetzung als in der Locanda. Dort hatten Handwerker und
Unteroffiziere das Publikum dominiert, hier gaben Fremde aus den
großen Hotels, gutgekleidete Einheimische und kaiserliche
Offiziere den Ton an. Keine hohen Ränge, aber eine ganze
Anzahl von Leutnants der verschiedensten Waffengattungen. Er
unterschied die Uniformen der Kaiserjäger, der Linzer Dragoner
und der in Venedig stationierten kroatischen Jäger. Ein paar
Offiziere tanzten, die meisten standen am Rand der Tanzfläche
und rauchten.
Wo war der
Getränkeausschank, um den herum sich
erfahrungsgemäß die Priesterinnen der Liebe tummelten?
Er reckte den Hals, um über die tanzende Menge hinwegzusehen.
Aha, dort hinten, gleich neben dem Podium, auf dem das Orchester
spielte. Introibo ad altare
Dei, dachte
er, während er sich in Bewegung setzte, und wäre fast in
Kichern ausgebrochen.
Drei Leutnants der
kroatischen Jäger hatten am Tresen Posten bezogen, sie
verhandelten gerade mit zwei jungen Damen. Neben ihnen stand ein
rotgesichtiger Herr im Frack, der bereits ein wenig schwankte.
Hinter der Theke polierte eine junge Saaltochter Gläser. Auf
dem marmornen Tresen waren Champagnerflaschen aufgereiht,
hübsch anzusehen mit ihren goldfarbenen Hälsen, daneben
eine große Glasschale mit Orangen, die ihrerseits von
diversen Likörflaschen flankiert wurde. Der hinter dem Tresen
angebrachte riesige Spiegel reflektierte das Glitzern der
Kronleuchter und das bunte Gewoge der Menge, die sich über die
Tanzfläche schob. Als er näher trat, konnte er nicht
umhin, sein Spiegelbild zu betrachten.
Merkwürdig,
dachte er, wie wenig die draufgängerische Seite seines Wesens
in Erscheinung trat. Die Halbmaske ließ die untere
Gesichtshälfte frei, und eigentlich hätte man in den
Mundwinkeln zwei Reißzähne sehen müssen.
Stattdessen sah er einen schmalen, fast asketisch wirkenden Mund,
der gut zu seinem schwach ausgeprägten Kinn passte. Er wirkte
ausgesprochen unauffällig. Ob die Saaltochter hinter dem
Tresen ihn überhaupt bemerkt hatte? Würde er die Arme
schwenken müssen, um etwas zu trinken zu bekommen, wie ein
Schiffbrüchiger auf einem Floß? Nein — jetzt sah
sie ihn an, und er bat um ein Glas Champagner — Champagner macht
einen leichten Fuß. Das Zeug war billiger Prosecco,
aber bei der Hitze im Ballsaal tat es gut, an dem kalten,
prickelnden Getränk zu nippen.
Seit zwei Tagen war
seine Gemütsverfassung ausgesprochen euphorisch. Das wilde
Tier in ihm hatte geschlafen, während er durch die Gassen
geschlendert war und sich bei Regen in eines der Cafes an der
Piazza gesetzt hatte. Während der Karnevalszeit schien sich
die ganze Stadt in einen summenden Bienenkorb verwandelt zu haben.
Nachts gab es die Auswahl zwischen Dutzenden von Maskenbällen,
und selbst tagsüber schien jeder zweite Passant Dreispitz und
Degen zu tragen. Auch die kaiserlichen Offiziere, denen man
überall in der Stadt begegnete, sahen wie verkleidet aus und
wirkten in ihren bunten Uniformen wie Statisten aus einer
Offenbach-Operette. Wahrscheinlich, dachte er amüsiert,
hätte es sie sogar erfreut, wenn man ihnen gesagt hätte,
dass sie so aussahen.
Er schloss die Augen
und versuchte, sich an die
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