Commonwealth-Saga 3 - Der entfesselte Judas
über das Parkett des dunklen Flurs jagten und sich tiefer in den Schatten versteckten. Paul trug keine Schuhe; er hatte überhaupt nichts an außer einer ausgeblichenen türkisfarbenen Bikerhose mit Dutzenden von aufgesetzten Taschen aller Größen und einem schwarzen T-Shirt, das an den Säumen und am Kragen stark ausgefranst war. Sein Äußeres verlieh ihm das Aussehen eines Großvater-Ganoven. Das lange Gesicht mit den lebendigen dunklen Augen war von der Sorte, die man für einen Zeitraum von vielleicht zwanzig Jahren nach der Rejuvenation als attraktiv empfunden hätte, doch diese günstige Phase lag inzwischen wenigstens dreißig Jahre zurück. Falten und schlaffe Haut zollten der Gravitation ihren Tribut, und das einst braune Haar war zurückgewichen und hatte einen silbernen Farbton angenommen. Mellanie kannte niemanden außer Paul, der so lange Zeit zwischen den einzelnen Rejuvenationsbehandlungen verstreichen ließ. Nicht, dass er Gewicht angesetzt hätte, im Gegenteil. Er war ziemlich hager mit langen Beinen und geschwollenen Kniegelenken, die in Mellanie den Verdacht von Arthritis aufkommen ließen.
»Ach, du bist es«, sagte Paul enttäuscht.
»Du hast gewusst, dass ich kommen würde?«
Paul zuckte mit den Schultern und winkte sie herein.
Im Innern sah es aus, als wäre der Bungalow seit zehn Jahren nicht mehr bewohnt. Mellanie folgte Paul, als dieser durch die Küche in die geschwungene Lounge ging. Nirgendwo brannten Lichter. Maidbots, die älter waren als Mellanie, standen in ihren Alkoven, die Betriebsleuchten dunkel, bedeckt von einer dicken Staubschicht. In der Küche war lediglich das Drinks-Modul aktiv. Zwei große, kommerzielle Catering-Boxen von dehydrierten Einwegbechern standen auf dem Boden darunter, eine mit englischem Frühstückstee, die andere mit heißer Schokolade. Der Abfall-Kompakter war ausgefallen und vollgestopft mit Fast-Food-Verpackungen von Bab’s Kebabs, Manby Pizzas und HR Fish and Chips. Ein weiterer Nostat flüchtete vor dem stinkenden Haufen, als sie die Küche passierten. Er verflachte sich zu einer Raute von fast anderthalb Metern Breite und glitt geradewegs an der Wand nach oben. Seine Unterborsten klebten an den Fliesen wie die Saugbeine von Insekten.
»Ich dachte, ihre Haltung wäre illegal«, bemerkte Mellanie.
»Man bekommt heutzutage keine Importlizenzen mehr«, klärte Paul sie auf. »Aber ich habe diese hier vor mehr als einem Jahrhundert nach Oaktier mitgebracht. Sie stammen ursprünglich von Ztan. Irgendein Idiot hat sich darüber aufgeregt, dass sie mit seinen Schoßhündchen gekämpft haben, und der Kongress hat überstürzt ein Verbot ausgesprochen. Sie sind vollkommen zahm und harmlos, wenn man sie richtig ausbildet.«
Die Lounge verblüffte Mellanie. Abgesehen von dem Staub und der schmutzig-gelben Decke war alles perfekt aufgeräumt, auch wenn das Mobiliar so altmodisch war, dass es beinahe als Retro-Chic durchgegangen wäre. Welches Zimmer benutzt er wohl? , fragte sich Mellanie. Die Couch, auf der sie saß, gestattete ihr einen Blick auf den zentralen Poolbereich. Tote, vollgesogene Blätter trieben auf der unbewegten Wasseroberfläche.
Paul setzte sich in einen großen Korbsessel, der von der Decke hing wie ein übergroßes Vogelnest. Das Möbel knarrte alarmierend, als es sein Gewicht aufnahm. Der Nostat in seinem Arm kuschelte sich enger an seine Brust, und seine Ränder flossen um seinen Brustkorb herum, während er das Tier weiterstreichelte. »Du wirst von einer Reihe höchst ungewöhnlicher Programme beobachtet, wusstest du das? Sie folgen dir physisch durch die Cybersphäre und transferieren sich von Knoten zu Knoten.« Er blickte neugierig auf den Nostat hinab. »Wie ein Haustier an der kurzen Leine.«
»Das habe ich mir schon gedacht«, sagte sie.
»Als du mich zum letzten Mal um einen kleinen Gefallen gebeten hast, bin ich hochgenommen worden. Ein einfaches Durchgehen eines Listings der Stadt, von dem niemand hätte erfahren dürfen.«
»Ich weiß. Es tut mir Leid. Wie hoch war die Strafe? Ich kann dir das Geld wahrscheinlich zurückzahlen.«
»Kein Interesse.« Paul war noch immer ganz in den losen Fellsack vertieft, der glückselig in seiner Armbeuge ruhte. »Die Polizei kam zu mir und hat all meine Arrays beschlagnahmt. Alle haben es erfahren. Ich kann nicht mehr durch diese Stadt gehen, meine eigene Stadt, wie früher einmal. Türen werden mir vor der Nase zugeschlagen. Hast du überhaupt eine Ahnung, wie demütigend das
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