Commonwealth-Saga 3 - Der entfesselte Judas
denken, wie viele Jahrzehnte nötig waren, um eine solch große Lücke zwischen Erinnerung und Realität zu erzeugen; nach der Größe und Dichte der Wälder zu urteilen, konnte es durchaus ein Jahrhundert sein.
Mehrere Gardenbots waren auf dem Gras beschäftigt, schnitten die Rhododendronbüsche und die kleinen Silberbirken. Es gab keinerlei Hinweise darauf, dass mehrere Tausend Menschen wie eine Flutwelle hier hindurchgeströmt waren – keinen Abfall, keine zertrampelten Pflanzen.
Am Ende des Kieswegs stand der kleine weiße Bungalow. Er sah genauso aus wie in Nigels Erinnerung. Ein einzelner Decksstuhl stand unter einem ausladenden Baum im kleinen Vorgarten und wartete darauf, dass sein Besitzer nach Hause kam.
Daniel Alsters Anruf blinkte in Nigels virtueller Sicht. Er seufzte und aktivierte die Verbindung.
»Sorry, Sir«, sagte Daniel. »Es gibt eine Entwicklung, von der ich glaube, dass Sie darüber informiert sein sollten.«
»Schießen Sie los«, sagte Nigel, wohl wissend, dass es um etwas Wichtiges gehen musste. Er vertraute darauf, dass Daniel den größten Teil des politischen Alltagsgeschäfts herausfilterte.
»Die Halgarths haben soeben im Komitee den offenen Krieg gegen die Burnellis ausgerufen.«
»Hmmm – in welchem Komitee?«
»Security Oversight Committee, Sir.«
»Tatsächlich?« Wie immer hatte Daniel Recht gehabt. Das Security Oversight Committee war für gewöhnlich immun gegen die üblichen politischen Manöver und Intrigen zwischen den einzelnen Fraktionen des Senats, und in diesem Fall hätte es vollkommen sakrosankt sein müssen. Es war tatsächlich eine ernste Angelegenheit, wenn irgendwelche persönlichen Querelen den Weg in die Sitzung gefunden hatten. »Was ist passiert?«, fragte er.
»Valetta Halgarth hat heute Morgen versucht, Paula Myo aus der Senate Security ablösen zu lassen.«
Nigel war plötzlich brennend interessiert. Die Dynastie war Paula Myo in mehr als einem Fall zu Dank verpflichtet. Nach einem der zahlreichen von ihr gelösten Fälle hatte Nigel sich sogar persönlich bei ihr bedankt. Nicht, dass sie aus politischen Gründen ihrer Arbeit nachging. Als das politische Büro ihm berichtet hatte, dass Rafael ihre Entfernung aus dem Geheimdienst der Navy betrieben hatte, hätte Nigel beinahe selbst interveniert, doch dann war Gore Burnelli auf die Bildfläche getreten, und es war nicht mehr erforderlich gewesen. »Was hat sie den Halgarth denn nun schon wieder getan?«
»Wir sind nicht ganz sicher, Sir – es ist wahrscheinlich noch im Gang. Die Burnellis machen sich Sorgen, weil die Halgarths ihre Machtbasis innerhalb der Hierarchie der Navy zu sehr verbreitern.«
»Damit stehen sie nicht allein. Fahren Sie fort.«
»Der Grund, den Valetta Halgarth nannte, war, dass Paula Myo sich in Operationen des Navy-Geheimdienstes einmischen würde. Offensichtlich hat die Myo eine offizielle Anfrage an ihr ehemaliges Büro in Paris geleitet, Alessandra Barron unter Observation zu stellen.«
»Was soll die Barron denn nach Meinung von Paul Myo angestellt haben?«
»Das wissen wir nicht.«
»Wahrscheinlich ist es für die Halgarths überhaupt nicht wichtig. Wie Sie bereits sagten, ich denke, es handelt sich um einen direkten Machtkampf. Ich werde mit Jessica reden. Ich schätze, wir müssen anfangen, die Halgarths und ihre Pläne bezüglich der Navy genauer im Auge zu behalten.«
»Jawohl, Sir.«
Der Anruf endete, und Nigel blieb stehen, während er überlegte, was Alster ihm soeben mitgeteilt hatte. Die Leibwächter warteten respektvoll. Wenn es etwas gab, das Nigel über Paula wusste, dann die Tatsache, dass sie aufrichtig war. Sie würde Alessandra Barron nicht aus rein politischen Gründen unter Observation stellen lassen, ganz gleich, wie sehr die Burnellis auch darauf beharrten. Dann war da der schockierende Mord an Thompson, der vollkommen ungelöst blieb. Der Mörder hatte bei LA Galactic erneut zugeschlagen und war ebenfalls auf unerklärliche Weise verschwunden. Etwas ging vor und zwar auf einer Ebene, welche die Dynastien und die Großen Familien betraf, und zu Nigels beträchtlichem Ärger hatte er keine Ahnung, was das war. Das war so gut wie beispiellos. Seine virtuelle Hand berührte das Symbol von Nelson. »Ich habe einen Auftrag für dich«, sagte er zu dem Sicherheitschef der Dynastie. »Ich benötige dringend Informationen.«
Nigel wusste, dass der Bungalow verlassen war, noch bevor er über die Schwelle den Bogengang betrat, der ins Innere des
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