Commonwealth-Saga 3 - Der entfesselte Judas
die Zeit, als Paula noch die Leitung des Pariser Büros gehabt hatte.
Li hatte einen Wagen organisiert, der sie zur fünf Meilen entfernten Far Away Sektion des Rangierbahnhofs brachte. Während er sie über die letzten Inspektionen unterrichtete, blickte Renne durch die regennassen Wagenscheiben nach draußen in die Nacht. Hunderte von Laternen verbreiteten ihr Licht von den hohen Masten des Bahnhofs und tauchten die ausgedehnten freien Flächen zwischen den Schienen und den fernen Industriegebäuden in fahle Helligkeit, ein Vermächtnis verlorener Ambitionen aus jenen Tagen, als Boongate noch geglaubt hatte, ein Knotenpunkt für den angrenzenden Phase-Drei-Raum zu werden. Einige der Frachtdepots standen offen. Große rechteckige Tore gaben den Blick auf die Frachtzüge dahinter frei, deren Waggons dampften und tropften, während Autolifter ihren Inhalt ausluden. Renne sah eine lange Reihe von Ables RP 5 Rangierloks, die draußen vor einem gigantischen Lokschuppen aufgereiht standen, unbenutzt seit dem Angriff der Primes, der die Wirtschaft des Commonwealth ins Stolpern gebracht hatte.
Auf der anderen Seite der Frachthalle für Container nach Far Away schimmerte ein dumpfes Licht.
»Ist dort das Half Way Gateway?«, erkundigte sich Renne. Der Halbkreis aus konturloser Lumineszenz war hinter dem langgestreckten dunklen Gebäude in Sicht gekommen. Er erinnerte an einen müden Mond, der hinter den Horizont versank.
»Ja«, antwortete Edmund Li. »Seit dem Angriff der Primes ist nicht mehr viel nach draußen gegangen. Das meiste davon ist Fracht für Companys und Großgrundbesitzer und natürlich für das Institut. Nicht viel persönliches Zeugs. Wer vorhatte zu emigrieren, hat seine Pläne erst mal verschoben. Der Tourismus ist vollkommen zusammengebrochen.«
»Was ist mit Verkehr hierher?«, fragte Tarlo.
»Jede Menge Leute, die nichts wie weg wollen. Wer kann es ihnen verdenken? Sie sind verdammt nah an Dyson Alpha. Allerdings kostet es eine Menge von Far Away hierher, und die meisten Leute haben nicht so viel Geld. Ich hab keine Ahnung, wie lange das Commonwealth Civil Council das Gateway noch offen lassen wird.«
Der Wagen hielt vor dem Lagerhaus, und sie eilten durch den Regen zu dem kleinen Büro, das in einem Anbau untergebracht war. Das Innere des Anbaus bildete ein großes Rechteck mit neun Schreibtischen in der Mitte. Die Konsolen und Arrays auf sieben davon waren mit Plastikhauben gegen den Staub abgedeckt.
Tarlo bedachte die Geräte mit einem neugierigen Blick, als sie daran vorbeigingen. »Wie viel Personal ist hier beschäftigt?«, fragte er.
»Wir sind fünfundzwanzig Mann«, antwortete Edmund Li mit unbewegter Miene.
»Aha. Und wie viele davon kommen zum Dienst?«
»Gestern waren wir noch vier, morgen … wer weiß?«
Renne und Tarlo wechselten einen wissenden Blick.
»Ich denke, so etwas nennt man unerlaubte Abwesenheit vom Dienst«, sagte Tarlo. »Der Admiral lässt sie wahrscheinlich erschießen.«
»Dazu muss er sie zuerst einmal finden«, entgegnete Edmund Li. »Ich bezweifle, dass sie sich noch auf dieser Welt befinden. Sie hatten Familien.«
»Und warum sind Sie noch hier?«, fragte Renne. »Es ist schließlich nicht so, als wäre das hier momentan der begehrenswerteste Job im Commonwealth.«
»Ich bin auf Boongate geboren. Ich schätze, das macht es leichter für mich zu bleiben. Und ich habe in diesem Leben noch keine Familie gegründet.« Er schob sich durch die Tür, die in die Lagerhalle führte.
Im Innern der gewaltigen Halle war es kühl. Eine einzelne Reihe von Polyphotostreifen an der Decke verbreitete ein diffuses Licht, in dem die Metallregale stumpf glänzten, die sich durch die gesamte Halle zogen. Regen prasselte auf die Solarpaneele des Dachs und erzeugte ein lautes Trommeln, das durch das beinahe leere Gebäude hallte.
»Es wird von Mal zu Mal unheimlicher, hier zu arbeiten«, sagte Edmund Li und trat über ein Schienenpaar, das mitten durch die Halle zu einem gewaltigen Tor am Ende führte. »Physisch betrachtet sind wir die Leute, die dem Gateway von Half Way am nächsten sind. Wenn die Primes durchkämen, wären wir die Ersten, die es erfahren. Man fühlt sich ungeschützt und nackt. Ich kann den anderen nicht verdenken, dass sie abgehauen sind.«
Sie erreichten zwei gewöhnliche Tiefbettwaggons, beide mit großen grauen Kunststoffkisten beladen. Ein Sensorring umspannte das Gleis zwanzig Meter weiter. Mehrere Schreibtische standen an seiner Basis. Die
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