Conan-Saga 47 - Conan das Schlitzohr
alle gesunden Männer des Dorfes bewaffnen und am Fluß nach Süden marschieren, bis man sie von der Stadt aus nicht mehr sehen kann. Ich weiß, wo die Frauen und Kinder festgehalten werden. Wenn Bellas meine Anweisungen genau befolgt, sind eure Familien morgen bei Sonnenuntergang wieder vereint.«
»Ich werde es ihm sagen«, versicherte ihm die Alte unter Tränen. Sie wiederholte seine Anweisungen Wort für Wort.
»Sehr gut. Weiter. Ungefähr nach einem halben Tagesmarsch müssen alle den Fluß überqueren. Gibt es dort eine Brücke oder eine Furt?«
»Ja, eine kleine Brücke, ungefähr fünf Meilen südlich. Es ist keine richtige Straße. Die Hirten treiben das Vieh über die Brücke von einer Weide zur anderen.«
»Ausgezeichnet!« sagte Conan. »Stein oder Holz?«
»Holz auf Steinpfeilern, aber wahrscheinlich in schlechtem Zustand.«
»Dann soll Bellas Werkzeug mitbringen, falls wir die Brücke reparieren müssen.«
»Ich werde es ihm ausrichten. Geh mit dem Segen aller Götter, Cimmerier.«
»Segne mich erst, wenn ich mit eurem Mannsvolk, den Frauen und Kindern morgen abend ins Dorf komme«, warnte Conan. »Vielleicht wirst du meinen Namen noch verfluchen.«
»Ein Mann, der wenigstens versucht hat, uns zu helfen, verdient meine Gebete«, erklärte die alte Frau entschieden.
Conan kehrte zum Tempel zurück. Er war froh zu wissen, daß die Brücke womöglich stark reparaturbedürftig war; denn große militärische Operationen waren schon daran gescheitert, daß keiner daran gedacht hatte, einen Spaten, ein Seil oder andere Hilfsmittel mitzubringen, die sich als dringend notwendig erwiesen. Im Krieg brauchte man mehr als nur Männer, Pferde und Waffen.
Oppia sah den Cimmerier beim Betreten des Tempels. Sie war außer sich, aber diesmal nicht wegen seiner Abwesenheit.
»Komm, sieh dir das an!« Sie zerrte ihn in den Tempelraum. Dort waren die Jünger und die Neuen, die Andollas Hokuspokus erlebt hatten. Wie immer sangen alle laut, und die Musik spielte. Aber es war irgendwie anders. Eine karmesinrote Lichtwolke umgab den Kopf Mutter Doorgahs. Andolla sang mit ausgebreiteten Armen. Er saß wieder im Lotussitz, doch nicht auf dem Schoß der Göttin, sondern einen guten halben Meter darüber.
»Wie macht er das?« fragte Conan. »Drähte?«
»Nein, du Schwachkopf«, zischte Oppia ihn an. »Der Lichtschein kam bei der Morgenandacht. Nachmittags hat mein Gatte einen Levitationszauber ausprobiert, und er hat gewirkt. Seine magischen Kräfte haben sich verzehnfacht.«
»Vielleicht lächelt ihm Mutter Doorgah zu«, meinte Conan. Oppia warf ihm einen vernichtenden Blick zu.
»Wahrscheinlich ist es harmlos, aber ich befürchte, daß dieser Erfolg ihn verleitet, einen wirklich gefährlichen Zauber zu erproben.«
»Brächte das nicht noch mehr Gläubige und damit noch mehr großzügige Spenden?«
»Das Risiko ist zu groß. Ich habe Angst, mein Gatte versteht die Kräfte, mit denen er spielt, nicht wirklich. Es könnte ein schreckliches Unglück geben.«
»Das wäre in der Tat schrecklich«, meinte Conan. »Oppia, ich muß heute abend nochmals fortgehen.«
»Wie reizend, daß du mir das diesmal mitteilst«, sagte sie mit beißendem Spott.
»Es ist ungemein wichtig«, fuhr er unbeeindruckt fort. »Die Bandenführer halten eine Friedenskonferenz ab. Bombas nimmt ebenfalls teil und hat mich gebeten, ihn als Leibwächter zu begleiten. Er traut seinen Männern nicht mehr.«
»Und wie kommt er auf den Gedanken, dir trauen zu können?« fragte sie.
»Wir Cimmerier sind dafür bekannt, daß wir unser Wort halten«, erklärte er.
»Diesen Ruf haben viele Menschen«, meinte sie bissig. »Aber bin noch keinem begegnet, bei dem es zugetroffen hat.«
»Bei diesem Treffen geht es vielleicht auch um Dinge, die dich angehen könnten.«
Oppia dachte kurz nach. »Du hast recht. Es wäre gut zu wissen, ob es in Sicas Friede gibt oder – wenn nicht – wie die Frontlinien verlaufen. Geh hin und berichte mir, sobald du zurückkommst.«
»Wahrscheinlich schläfst du bereits.«
»In letzter Zeit finde ich kaum noch Ruhe.« Sie blickte auf das bizarre Schauspiel im Tempel. »Und wie es aussieht, wird es noch schlimmer.«
Conan ging nach oben und sah nach Rietta. Sie schlief tief und endlich friedlich. Sie war nicht mehr so blaß und mager, sondern wirkte viel gesünder. Bald wäre sie kräftig genug, daß er sie von diesem bösen Ort fortbringen konnte, ohne daß sie vor Angst starb.
Als der Cimmerier im Hauptquartier
Weitere Kostenlose Bücher