Conan-Saga 47 - Conan das Schlitzohr
ein x-förmiges Gestell, ebenfalls mit Hand- und Fußeisen. Daran hing eine Peitsche mit vielen Schnüren und Messingdornen.
»Das dürfte ihnen den Glauben wiederbringen, wenn nichts anderes hilft«, meinte Conan trocken.
»Ich sehe, daß du kein sehr gläubiger Mann bist«, wies sie ihn zurecht. »Aber damit muß man bei einem Barbaren rechnen. Doch Mutter Doorgah verschmäht keinen, ganz gleich, wie minderwertig er ist. Komm.«
Oppia zeigte dem Cimmerier die Gärten, die Werkstätten, die Küche und das Waschhaus. Der Tempel besaß keine Sklaven. Nicht nötig, die Anhänger sind ja die Sklaven, dachte Conan. Denn sie erledigten alle Arbeiten. Das Schöne bei diesem System war die Tatsache, daß man normalerweise für Sklaven bezahlen mußte. Doch diese zahlten, um Sklaven zu sein. Sie wollten auch nicht aus dem Tempel fliehen, sondern mußten von den Familien mit Gewalt daran gehindert werden, zurück in den Tempel zu laufen.
Hinter dem eigentlichen Tempel stand ein großes vierstöckiges Gebäude mit vielen Zimmern. Oppia zeigte Conan die großen Schlafsäle der Jünger. Sie waren – ausgenommen der Strohsäcke, die alle feinsäuberlich aufgerollt an der Wand lagen – völlig kahl. Oppia beschrieb dem Cimmerier den Tagesablauf der Gläubigen. Die jungen Reichen lebten unter strengerer Disziplin als Rekruten beim Militär. Tag und Nacht wurde gebetet. Die Jünger schliefen nie länger als zwei Stunden. Wenn sie nicht beteten, arbeiteten sie. In der Küche hatte Conan gesehen, daß es hauptsächlich Haferschleim zu essen gab. Durch die ständige Erschöpfung und den dauernden Hunger waren ihre Sinne und ihr Wille betäubt. Conan war angewidert, verbarg jedoch klugerweise seine Gefühle. Im Vergleich zum Leben in diesem Tempel war normale Sklaverei das reinste Paradies. Aber er war sicher, daß er das Schlimmste noch nicht gesehen hatte.
Jetzt führte Oppia ihn noch in ein großes Zimmer im zweiten Stock. »Hier wirst du wohnen«, erklärte sie. »Ich bin sicher, daß es besser ist als die Unterkunft, in der du zur Zeit schläfst.«
»Ja, nicht übel«, meinte Conan. »Wo wohnst du?«
Oppia blickte ihn kühl an. »Warum willst du das wissen?«
»Die Zeiten sind unsicher. Die Hälfte aller Diebe Aquiloniens befindet sich in Sicas. Unwissende Menschen glauben vielleicht, daß ihr im Tempel riesige Schätze hortet. Wenn Verbrecher in eure Zimmer eindringen und ihr Hilfe braucht, muß ich wissen, wo ich euch befreien soll.«
»Das klingt einleuchtend«, sagte Oppia. »Unsere Zimmer liegen im selben Stock. Wenn du auf dem Gang nach links bis zum Ende gehst, kommst du an eine rote Tür. Da ist unsere Wohnung. Aber betritt sie nie, es sei denn, mein Mann oder ich befehlen es dir.«
»Verstanden«, sagte Conan, entschlossen, die Wohnung bei der ersten passenden Gelegenheit zu erkunden.
»Gut. Dann bleibt nur noch die Frage der Bezahlung.«
»Das ist keine Frage«, sagte Conan. »Ich bekomme tausend Goldmark. Die Hälfte jetzt gleich. Bald ist eure Situation hier geklärt – so oder so. Dann kannst du mir den Rest geben.«
»Was soll das heißen?« fragte Oppia.
Conan zuckte mit den Schultern. »Entweder der Bandenkrieg führt dazu, daß eine Rotte die Führung errungen hat, oder du und dein Mann werden die Stadt verlassen.«
»Die Stadt verlassen?« Oppias Augen blitzen empört. »Warum sollten wir das tun?«
Conan grinste. »Irgendwie habe ich das Gefühl, daß Mutter Doorgah euch bald anderswohin rufen wird. Ich vermute, das ist schon früher sehr oft geschehen. Außerdem vermute ich, daß eure eventuelle Abreise ziemlich überstürzt und nachts erfolgen wird. Sei sicher, daß ich es erfahre und mir mein Geld rechtzeitig holen werde.«
Oppia funkelte den Cimmerier empört an, doch gleich darauf lächelte sie und fuhr ihm mit dem spitzen langen Nagel des Zeigefingers über die glatt rasierte Wange. »Cimmerier, ich glaube, wir werden bestens miteinander auskommen.« Dann leckte sie sich die Lippen.
»Und ich finde, du solltest mir jetzt fünfhundert Mark geben«, sagte Conan ungerührt.
»Warte hier!« befahl sie und verließ mit einem überraschend mädchenhaftem Kichern den Raum. Conan hörte, wie sie links zu ihrer Wohnung ging. Er wartete ein paar Sekunden lang, dann schaute er auf den Gang hinaus. Sie war nirgends zu sehen, aber er hörte, wie sich ein Schlüssel drehte. Aha, sie schloß sich also ein.
Lautlos lief der Cimmerier ebenfalls nach links. Er kam zu einer rotgestrichenen Tür aus
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