Conan-Saga 47 - Conan das Schlitzohr
schweren Bohlen, die durch Eisenbänder verstärkt waren. Das Schloß war ziemlich groß, doch primitiv. Wenn nötig, konnte er es leicht knacken.
Der Gang war niedrig und durch Öllampen in Nischen erhellt. Conan hob den aus Bronze getriebenen Deckel einer Lampe hoch. Sie war noch halbvoll. Daraus schloß er, daß die Lampen täglich morgens gefüllt wurden. Er brauchte also nicht zu befürchten, daß Jünger tagsüber die Lampen versorgten.
Er lauschte, aber er hörte nicht, daß eine Geldkassette geöffnet wurde. Die Tür war zu dick. Vorsicht gebot, schnell wieder zurückzulaufen. Geistesabwesend schärfte er seinen Dolch, als Oppia wieder eintrat.
Sie hielt einen Lederbeutel in der Hand. Ihr geschlungenes Gewand war so kunstvoll drapiert, daß ein schmaler Hautstreifen von der Achsel bis beinahe zum Knöchel zu sehen war. Sie reichte Conan den Beutel. Er steckte den Dolch in die Scheide und nahm ihn. Das dünne Leder war prall und fühlte sich gut an. Ebensogut müßte sich die Frau anfühlen, dachte er kurz, tat jedoch nichts, da Frauen viel gefährlicher als Gold waren.
»Vielleicht kann ich dich doch noch bekehren, unsere Mutter Doorgah anzubeten«, sagte Oppia und trat näher.
»Sie gehört nicht zu meiner Sorte Götter«, widersprach Conan.
»Aber wie weißt du das? Ich habe dir gesagt, daß sie mehr als einen Aspekt hat. Einige davon sind nicht für gewöhnliche Jünger bestimmt. Als Königin des Entzückens und Vereinigerin des Fleisches würden auch dir ihre Riten Freude bereiten. Ich bin in diesen Übungen die beste Lehrmeisterin, die es gibt.«
»Und Andolla mit der großen Seele?« fragte Conan. »Nimmt er an diesen Riten auch teil?«
Sie strich ihm mit den Fingerspitzen über die Wange. »Mein Gatte widmet sich in letzter Zeit allzusehr seinen magischen Studien. Wir sehen nicht viel voneinander, außer die Heilige Mutter wünscht unser beider Anwesenheit im Tempel.«
»Ist der vergeistigte Andolla auch ein Meister der Zauberkünste?« wollte der Cimmerier wissen.
»Wenn er nicht zu Mutter Doorgah betet, sucht er tieferes Verständnis der übernatürlichen Welt zu gewinnen«, erklärte Oppia mit leicht geringschätzigem Ton. »Zu diesem Zweck sammelt er Zauberbücher und andere Utensilien. Er verbringt mit dem Studium viele Stunden in völliger Abgeschiedenheit.«
»Und du bist oft einsam«, stellte Conan fest.
»Manchmal sind die Tröstungen Mutter Doorgahs nicht genug, und die Jünger sind meist ziemlich langweilig«, gab sie zu. Sie lächelte ihn an und wollte gerade noch näher kommen, als ein gellender Schrei ertönte. Es war eine Frauenstimme irgendwo über ihnen. Offenbar war die Frau in Panik.
»Crom!« Conan griff zum Schwert. »Da wird eine Frau umgebracht!«
»Die Mutter verfluche sie!« stieß Oppia wütend hervor. Dann legte sie beschwichtigend die Hand auf Conans Rechte. »Bleib ruhig! Das ist nur ein Jüngerin, die viel Ärger macht. Komm mit. Vielleicht müssen wir sie bändigen.«
Conan stieg mit Oppia über eine schmale Treppe ins dritte Stockwerk hinauf. Die Raumanordnung war wie unten, aber hier standen die meisten Türen offen. Die Zimmer wurden nicht benutzt. Nur eine Tür war von außen verriegelt, wie eine Gefangenenzelle.
Oppia öffnete das kleine Schiebefenster und blickte hinein. Dann schob sie den Riegel zurück und öffnete die Tür. Conan trat hinter ihr ein. Ein schwacher Duft stieg ihm in die Nase, entwich aber sogleich mit dem Luftstrom durch die offene Türe. Aber der Cimmerier war sicher, daß er sich nicht geirrt hatte. Doch dann sah er die zarte Mädchengestalt, die in einer Ecke kauerte.
Es war Rietta, die Tochter Rista Daans, deren Porträt er gesehen hatte. Allerdings ähnelte sie diesem Bild kaum noch. Ihr Gesicht war ausgezehrt, Arme und Beine waren dünn. Das früher glänzende Haar war stumpf. Offensichtlich war sie seit Monaten nicht mehr in der Sonne gewesen. Mit vor Entsetzen geweiteten Augen starrte sie in die gegenüberliegende Ecke des Raums. Sie hielt eine Faust auf den Mund gepreßt und zeigte mit dem dürren Ärmchen auf die Ecke.
»Es war da! Es ist wiedergekommen! Ihr habt mir versprochen, daß es nie wiederkommen würde! Ihr habt es versprochen!«
Oppia nahm das Mädchen bei den Schultern.
»Ich habe dir gesagt, daß Mutter Doorgah dich vor dem Fluch schützen wird und daß nur Mutter Doorgah dich beschützen kann. Wäre dein Glaube stark, so ließe das Ding dich in Ruhe. Nur dein fehlender Glaube erlaubt dem Ding, jede Nacht
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