Conan-Saga 48 - Conan der Jäger
Eunuch schob die vergiftete Klinge vollends in die Scheide, warf einen Umhang mit Kapuze über und schlich sich hinaus in die heraufziehende Morgendämmerung Brythuniens.
10. K APITEL
Schatten und Steine
Madesus erreichte den Tempel, als die Sonne gerade über die östliche Stadtmauer emporstieg und die elfenbeinfarbenen Tempelmauern mit ihren warmen Strahlen einhüllte. Er blieb auf halbem Wege zum mächtigen Portal stehen. Es war, als hätte die Sonne seine Erinnerung geweckt. Plötzlich erinnerte er sich an den Standort des Gebäudes, das er im Traum und im magischen Teich erblickt hatte, den Kaletos geschaffen hatte.
Es gab in der Stadt viele alte Gebäude, doch die ältesten befanden sich westlich des Palastes. Er war seit seiner Ankunft in der Stadt schon oft daran vorbeigegangen. Einige waren halb verfallene Ruinen, wieder andere hatten die Zeit gut überstanden. Er war sicher, daß das Gebäude, das er suchte, ein Tempel war, ein Pantheon mit seltsamen in den Stein gemeißelten Ornamenten aus grauer Vorzeit.
In seinem Traum und im magischen Teich waren diese Verzierungen ganz deutlich gewesen, so als wären sie gerade geschaffen worden. Doch in Wirklichkeit mußten sie im Laufe der Jahre und den Unbillen der Witterung beinahe glatt geschliffen sein. Nur die am tiefsten eingemeißelten Skulpturen würden noch für ihn sichtbar sein. Vielleicht hatte ihm der Traum das Gebäude so dargestellt, wie es vor Jahrhunderten schon ausgesehen hatte. Derlei war bei magischen Visionen nicht selten. Warum jedoch hatte er nicht gespürt, daß hinter jenen uralten Tempelmauern die böse Macht lauerte? Vielleicht barg dieser Tempel die Mutare und war eigens so gebaut worden, daß er sie nach draußen abschirmte?
Aufgeregt stieg Madesus die restlichen Stufen hinauf. Jetzt war es an der Zeit, das Böse zu bekämpfen. Im Tageslicht würde die Kraft der Mutare schwächer sein, selbst wenn das Licht durch Mauern aus Stein gedämpft wurde. Die strahlende Sonne war ein gutes Omen, daß Mitra ihm heute beistehen würde.
Madesus war jetzt sicherer, daß es ihm gelingen würde, die Mutare-Priesterin zu vernichten. Er ging in den Tempel und holte seine Habe. Leider blieb ihm nicht die Zeit, nochmals mit Kaletos zu sprechen, da er sofort zum Palast zurückkehren mußte, wo Conan und Kailash auf ihn warteten. Er ließ für den Opferstock des Tempels einige Silberstücke in der spartanischen Kammer zurück und machte sich sogleich auf den Weg zurück zum Palast.
Die Straßen waren jetzt sehr belebt. In der Stadt herrschte der geschäftige Alltag. Die Nachricht, daß es dem König besser ging, hatte sich wie ein Lauffeuer verbreitet, und viele Bewohner der Stadt waren darüber sehr froh. Doch keiner von ihnen wußte, daß eine Mutare unter ihnen weilte. Der Priester schritt schnell durch die Menge.
Endlich hatte er den Eingang zum Palast erreicht. Die Wachen erkannten ihn sogleich wieder und ließen ihn mit einer Verbeugung passieren. In wenigen Minuten war er bei Kailash im Vorzimmer. Kurz zuvor war Conan aufgewacht. Ihm taten zwar noch sämtliche Gliedmaßen weh, doch fühlte er sich nicht mehr so erschöpft. Er hatte sich von einem der Soldaten aus den Bergen etwas zum Anziehen geborgt: Beinkleider aus dickem grünem Tuch und dazu eine Tunika mit langen Ärmeln, die vorn mit Lederriemen zugeschnürt wurde. Er hatte sich auch sein Breitschwert wiedergeholt. Es hing jetzt ungeschützt, ohne Scheide, am breiten Ledergurt. Unter der Tunika trug er immer noch das zerrissene Lederwams. Seine Füße steckten in den Sandalen mit dicker Sohle. Seine Aufmachung war eine merkwürdige Mischung aus Kleidung des Ostens und des Westens.
Kailash begrüßte Madesus und warf sich seinen schwarzen Ledersack auf den breiten Rücken. Er war ähnlich wie Conan ausgerüstet. Doch hatte er statt eines Breitschwertes ein Krummschwert, schwere schwarze Stiefel und eine dicke Eisenkappe. »Wir brauchen keine Ruhe!« sagte er mit grimmigem Gesicht zu Madesus. »Wenn du weißt, wo diese Priesterin steckt, folgen wir dir sofort zu ihr.« Conan nickte und legte bestätigend die narbige Hand an den Schwertgriff.
»Mitra ist wahrlich auf unserer Seite«, sagte Madesus. Zwar hegte er Bedenken, unausgeruht sofort loszumarschieren, doch verspürte auch er keine Müdigkeit. »Heute morgen habe ich bei Sonnenaufgang deutlich gesehen, wo sich die Mutare verborgen hält. Ich bin jetzt ganz sicher, daß sie sich in einem der alten Tempel im Ruinenteil
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