Cook, Robin
vertieft, was sie wohl am Ende des Tunnels erwarten würde. Wenn sie auf eine massive verschlossene Tür stießen, käme das einer Katastrophe gleich; dann blieb ihnen nichts anderes übrig, als den gesamten beschwerlichen Weg zurückzugehen.
»Da vorne kommt irgendetwas«, stellte Deborah fest und hielt die Taschenlampe weit ausgestreckt vor sich. Im nächsten Moment stießen sie auf eine Gabelung; der Gang und das Heizrohr liefen getrennt weiter.
Sie blieben stehen und sahen sich ratlos an. Deborah leuchtete nacheinander in die beiden Tunnel. Zusammen mit dem Gang, aus dem sie kamen, bildeten sie eine Art Ypsilon, wobei die drei Gänge jeweils in einem Einhundertzwanzig-Grad-Winkel zueinander standen.
»Damit habe ich nun wirklich nicht gerechnet«, bemerkte Joanna.
Deborah leuchtete die Wand zwischen dem linken Tunnel und ihrem Standort ab und entdeckte auf Brusthöhe einen in die Backsteinwand eingearbeiteten Eckstein aus Granit. Sie wischte mit der Hand eine dicke Schmutzschicht ab und legte eine Tafel mit eingeritzten Buchstaben frei.
»Alles klar«, sagte sie mit neu erwachtem Enthusiasmus. »Eines der Geheimnisse ist gelüftet. Der linke Tunnel führt zur Farm und zu den Mitarbeiterunterkünften. Also muss der andere zum Kraftwerk führen.«
»Stimmt«, bestätigte Joanna. »Es ist ja auch nahe liegend, dass das dicke Rohr zum Kraftwerk führt.«
»Warte doch mal!«, rief Deborah und packte Joanna am Arm, die bereits in Richtung Kraftwerk losstürmte. »Wenn wir schon die Wahl haben, sollten wir vielleicht kurz mal darüber nachdenken, was für uns der bessere Weg ist. Mal angenommen, wir kommen tatsächlich sowohl am Kraftwerk als auch bei der Farm nach oben, dann…«
»Rede bloß nicht davon, dass wir hier vielleicht nicht rauskommen«, fiel Joanna ihr ins Wort.
»Ist ja gut«, versuchte Deborah sie zu beruhigen. »Fragen wir uns also, wo wir lieber rauskommen würden: im Kraftwerk – oder auf der Farm. Wenn wir erst mal aus dem Klinikgebäude heraus sind, beginnt ja erst unser eigentliches Problem, nämlich wie wir von dem Gelände herunterkommen sollen. Und das gelingt uns vielleicht besser von der Farm aus. Vermutlich gibt es dort Lastwagen, wie wir sie bei unserer ersten Herfahrt gesehen haben.«
»Ich denke, wir haben beschlossen, auf jeden Fall noch heute Nacht von hier zu verschwinden«, wandte Joanna ein.
»Das wäre auch am besten«, entgegnete Deborah. »Aber falls uns das nicht gelingt, sollten wir noch einen Alternativplan in der Hinterhand haben.«
»Wenn wir heute Nacht nicht hier herauskommen, werden sie uns auf jeden Fall kriegen.«
»Was schlägst du also vor?«
»Angesichts des unüberwindbaren Sicherheitszauns glaube ich, dass wir nur durch das Haupttor rauskommen können. Mit einem geeigneten Fahrzeug könnten wir einfach durch die Sperre hindurchbrettern – am besten mit einem Lastwagen.«
»Hm«, überlegte Deborah. »Das ist vielleicht gar keine schlechte Idee. Und wo treiben wir am besten so ein Fahrzeug mitsamt den Schlüsseln auf?«
»Vermutlich auf der Farm«, erwiderte Joanna. »Aber vielleicht liege ich auch falsch.«
»Ich tippe auch auf die Farm«, pflichtete Deborah ihr bei. »Also lass es uns da zuerst versuchen.«
Frischen Mutes schlugen sie den Tunnel in Richtung Farm ein. Sie gingen, so schnell sie konnten, und versuchten nach Möglichkeit, den Pfützen auszuweichen, die immer zahlreicher wurden, je weiter sie vorankamen. Nach knapp hundert Metern gabelte sich der Weg erneut. Ein weiterer Eckstein mit eingemeißelter Beschriftung wies nach rechts zur Farm und nach links zu den Mitarbeiterunterkünften. Joanna und Deborah hielten sich rechts.
»Der Hinweis zu den Mitarbeiterunterkünften hat mich gerade auf eine Idee gebracht«, sagte Joanna plötzlich. »Vielleicht sollten wir uns an Spencer Wingate wenden und ihn um Hilfe bitten.«
Deborah blieb unvermittelt stehen. Joanna hielt ebenfalls an. Die Taschenlampe nach unten gerichtet, sah Deborah ihre Freundin entgeistert an, doch in der Dunkelheit konnte sie nicht erkennen, ob sie es ernst meinte. »Habe ich dich richtig verstanden? Wir sollen zu Spencer Wingate gehen?«
»Ja«, erwiderte Joanna. »Wir gehen zu seinem Haus, das wir nach unserem Besuch bei ihm ja ohne Schwierigkeiten finden müssten, und weihen ihn in die skandalösen Machenschaften ein, die wir aufgedeckt haben. Außerdem erzählen wir ihm, dass die Männer vom Sicherheitsdienst hinter uns her sind und uns am liebsten verschwinden
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