Cook, Robin
Schliche gekommen waren, war ihm noch immer ein Rätsel, und jedes Mal, wenn er darüber nachdachte, ärgerte er sich schwarz. Dabei hatte er das eigentlich gar nicht nötig, jedenfalls nicht mehr, seitdem das Blatt sich für ihn zum Guten gewendet hatte.
Bei seiner Ankunft in Massachusetts hatte er zunächst befürchtet, dass die Gesundheitsbehörde dieses Bundesstaates von seinen Problemen in Illinois Wind bekommen und ihm ebenfalls die Krankenhausberechtigung versagen würde. Deshalb hatte er beschlossen, sich erst einmal weiter zu spezialisieren, und zwar auf dem Gebiet der Unfruchtbarkeit. Wie sich bald herausstellte, hatte er damit die beste Entscheidung seines Lebens getroffen. Er umging nicht nur sämtliche Probleme, an eine Lizenz zu kommen; er wechselte zudem in einen Bereich, in dem es keinerlei nennenswerte Kontrollen gab, und zwar weder in geschäftlicher Hinsicht noch was die Professionalität der behandelnden Ärzte anging. Außerdem entpuppte sich das Geschäft mit der Behandlung von Unfruchtbarkeit als erstaunlich lukrativ.
Unterm Strich hatte er mit seiner Entscheidung, als Infertilitätsexperte Fuß zu fassen, einen großen Coup gelandet, denn zusätzlich zu den anderen günstigen Umständen stellte sich auch noch heraus, dass er zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort gelandet war. Nur diesem Zufall verdankte er es, dass er mit Spencer Wingate in Kontakt kam, einem anerkannten Reproduktionsspezialisten, dem der Sinn danach stand, sich halb in den Ruhestand zurückzuziehen und sich auf seinen Lorbeeren auszuruhen, vielleicht noch mal gelegentlich ein paar Fördermittel aufzutreiben und ansonsten ein schönes Leben zu führen und sich der Lektüre interessanter Bücher zu widmen. Inzwischen war Paul derjenige, der den Laden in Bookford schmiss, und zwar sowohl die Klinik als auch den Forschungsbereich.
Dabei musste man es schon als eine Ironie des Schicksals betrachten, dass ausgerechnet aus Paul ein Forscher geworden war. Jedes Mal, wenn er darüber nachdachte, musste er grinsen, denn damit hätte er selbst nicht im Traum gerechnet. Schließlich hatte er auf der medizinischen Hochschule als Schlechtester abgeschnitten und um alles, was auch nur entfernt mit Forschung zu tun hatte, immer einen großen Bogen gemacht. Er hatte sich durch sein Studium gemogelt, ohne auch nur ein einziges Seminar in Statistik zu belegen. Aber das machte nichts. Seine unfruchtbaren Patienten waren so verzweifelt, dass sie bereit waren, alles zu versuchen. Viele bestanden sogar explizit darauf, neue Möglichkeiten auszuprobieren. Was Paul an Erfahrung auf dem Gebiet medizinischer Forschung fehlte, glaubte er durch Phantasie wettzumachen. Immerhin waren seine Fortschritte an diversen Fronten durchaus beachtlich, und er war absolut sicher, damit eines Tages reich und berühmt zu werden.
Schließlich wandte er den Blick von dem weitläufigen Klinikgelände ab, das er mittlerweile als seine Domäne betrachtete, und warf einen flüchtigen Blick in den verschnörkelten, zwischen den beiden riesigen Fenstern angebrachten Spiegel. Er zögerte, sah dann etwas genauer hin und fuhr sich nachdenklich mit der Hand über die Wangen. Er war überrascht und besorgt, wie käsig und bleich sich seine Haut von seinem beinahe schwarzen Haar abhob, doch dann wurde ihm bewusst, dass für diesen Eindruck vor allem das grelle Neonlicht verantwortlich war, das von den Röhren auf ihn hinabschien, die unter der Decke angebracht waren. Wie dumm von ihm, sich gleich solche Sorgen zu machen; er lachte einmal kurz auf. Mit seiner bleichen Gesichtsfarbe musste er nun mal leben; schließlich erlaubte sein prall gefüllter Terminkalender ihm nur selten einen Spaziergang bei Tageslicht, geschweige denn in der Sonne, aber er war überzeugt, dass er in Wahrheit nicht so schlecht aussah, wie sein Spiegelbild vermuten ließ. In dem grellen Neonlicht wirkte seine Haut so weiß wie seine markante weiße Haarsträhne über der Stirn.
Er kehrte an seinen Schreibtisch zurück und schwor sich, irgendwann im Winter einen Trip nach Florida zu machen. Vielleicht konnte er sogar irgendwo in der Sonne an einem Gynäkologenkongress teilnehmen und die Fortschritte seiner Arbeit präsentieren. Außerdem nahm er sich vor, gelegentlich mal wieder ein wenig Sport zu treiben, denn er hatte zugenommen, was sich vor allem durch eine neue Speckrolle an seinem Nacken bemerkbar machte. Wenn er es recht bedachte, hatte er sich schon seit Jahren nicht mehr sportlich betätigt.
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