Cook, Robin
verschwand.
Deborah fuhr langsamer und hielt an. »Das ist ja wirklich unglaublich! Wie es scheint, hat der Apotheker nicht die Bohne übertrieben, als er uns erzählt hat, die Insassen der Anstalt seien hier eingesperrt worden wie in einer Festungsanlage. Das sieht ja aus wie ein Gefängnis.«
»Besonders einladend wirkt es nicht gerade«, bestätigte Joanna. »Hast du eine Ahnung, wie wir auf das Gelände kommen? Ich meine, siehst du irgendwo einen Summer, oder müssen wir etwa per Handy in der Klinik anrufen?«
»Wahrscheinlich wird das Tor mit Videokameras überwacht«, vermutete Deborah. »Ich fahre mal ein Stück weiter vor.«
Sie startete erneut, steuerte den Wagen langsam in den Tunnel und hielt wieder an. Im gleichen Augenblick öffnete sich eine schwere, fensterlose Holztür, und ein uniformierter Mann mit einem Klemmbrett in der Hand trat hinaus. Er kam auf die Fahrertür zu. Deborah kurbelte die Fensterscheibe herunter.
»Kann ich Ihnen helfen?«, fragte der Wachposten freundlich, aber bestimmt. Er trug eine schwarz glänzende Schirmmütze, die der eines Polizisten zum Verwechseln ähnlich sah.
»Wir haben einen Termin bei Dr. Donaldson«, stellte Deborah klar.
»Ihre Namen, bitte!«, verlangte der Mann.
»Deborah Cochrane und Joanna Meissner«, entgegnete Deborah.
Der Mann warf einen Blick auf sein Klemmbrett, hakte die beiden Namen ab und deutete mit seinem Kugelschreiber nach vorn. »Folgen Sie der Schotterstraße nach rechts, dann kommen Sie auf den Parkplatz. Dort werden Sie abgeholt.«
»Danke«, sagte Deborah.
Statt zu antworten, berührte der Mann kurz die Krempe seiner Mütze. Im nächsten Moment ging das schwere Maschendrahttor langsam auf.
»Hast du gesehen?«, flüsterte Deborah, nachdem sie die Scheibe hochgekurbelt hatte. »Er ist bewaffnet!« Der Wachposten stand immer noch links neben der Fahrspur.
»Wie sollte ich das übersehen?«, entgegnete Joanna.
»In innerstädtischen Krankenhäusern habe ich gelegentlich schon mal einen bewaffneten Polizisten am Eingang Wache stehen sehen«, stellte Deborah fest. »Aber in einer Klinik auf dem Land noch nie. Wozu, um Himmels willen, brauchen sie hier draußen derartige Sicherheitsvorkehrungen und dann auch noch in einer Kinderwunschklinik?«
»Da drängt sich die Frage auf, was ihnen wohl wichtiger ist – die Leute draußen zu halten oder drinnen?«
»Ich finde das keineswegs witzig«, stellte Deborah klar und passierte das geöffnete Tor. »Vielleicht werden hier auch Abtreibungen vorgenommen. Dass Abtreibungskliniken mit Wachposten gesichert sind, habe ich in Massachusetts schon öfter gesehen.«
»Kann ich mir eigentlich nicht vorstellen. Das wäre doch wohl ziemlich geschmacklos für eine Klinik, in der unfruchtbare Paare behandelt werden.«
»Da hast du auch wieder Recht«, stimmte Deborah ihrer Freundin zu.
Nachdem sie den Tunnel und ein kleines Nadelbaumwäldchen hinter sich gelassen hatten, hatten sie einen ungehinderten Blick auf den riesigen Cabot-Komplex. Das aus roten Ziegelsteinen konstruierte Gebäude hatte vier Stockwerke und verfügte über zahllose kleine Gitterfenster. Hinter dem mit Zinnen versehenen Gesims erhob sich ein spitzes Schieferdach. Der hohe, in der Mitte gelegene Turm hatte große Panoramafenster, die im Gegensatz zu den anderen nicht vergittert waren.
Deborah fuhr langsamer. »Irgendwie wirkt dieser riesige Klotz inmitten dieser gottverlassenen Gegend ziemlich beunruhigend. Außerdem sieht der Kasten seltsam aus. Aus der Nähe würde ich darauf wetten, dass man versucht hat, die Uffizien zu kopieren. Die Architektur ist so ähnlich, das kann einfach kein Zufall sein. Falls ich mich recht entsinne, gibt es am Original in Florenz eine Uhr in der gleichen Ausführung, nur dass sie dort auch funktioniert.«
»In Massachusetts gibt es mehrere dieser viktorianischen Gebäude«, stellte Joanna fest. »Eins steht in Worcester; es ist zwar nicht aus Ziegelsteinen, aber fast genauso groß. Allerdings steht es leer, wohingegen der Komplex hier immerhin noch genutzt wird.«
»Die Wingate Clinic muss ziemlich florieren. Sonst bräuchten sie doch niemals so viel Platz.«
Joanna nickte.
Deborah folgte der an der rechten Seite des Gebäudes entlang führenden Schotterstraße und bog auf den Parkplatz, auf dem überraschend viele Autos standen. Den beiden Freundinnen fiel sofort auf, dass es sich bei der Mehrzahl der geparkten Wagen nicht um die üblichen Honda Civics oder Chevy Caprices handelte, sondern
Weitere Kostenlose Bücher