Cook, Robin
zuckte sie zusammen. Während ihrer konzentrierten Arbeit hatte sie überhaupt nicht bemerkt, dass jemand an ihre Laborbank gekommen war; umso überraschter war sie, in das zerknirschte Gesicht von Spencer Wingate zu blicken. Aus dem Augenwinkel sah sie, dass Mare ebenfalls von ihrem Mikroskop aufsah. Das plötzliche Erscheinen des Klinikgründers schien sie ebenfalls zu überraschen.
»Guten Morgen, Miss Marks«, begrüßte Spencer sie. Seine Stimme klang deutlich rauer als am Vortag. Er trug einen langen weißen Arztkittel und darunter ein frisch gebügeltes weißes Hemd und eine schlichte Seidenkrawatte. Der einzige Hinweis auf sein Besäufnis vom Vorabend waren seine roten, von Äderchen durchzogenen Augen.
»Könnte ich Sie einen Moment sprechen?«, bat er.
»Natürlich«, erwiderte Deborah. Ihr war ein wenig unbehaglich zumute, denn im ersten Moment dachte sie, dass er gekommen war, um nach seiner blauen Karte zu fragen. Doch dann verwarf sie diese Befürchtung schnell wieder. Dass er den Verlust so schnell bemerkte, war doch sehr unwahrscheinlich. Sie rutschte von ihrem Laborhocker, da sie seine Bitte so verstanden hatte, dass er unter vier Augen mit ihr reden wollte. Ein Blick in Mares Richtung verriet ihr, dass ihre Kollegin sie neugierig beobachtete.
Spencer deutete auf eines der Fenster. Deborah ging hin, er folgte ihr.
»Ich möchte mich für gestern Abend entschuldigen«, begann er. »Ich hoffe, ich habe Sie nicht zu Tode gelangweilt. Leider kann ich mich ab der Ankunft bei mir zu Hause nicht mehr an allzu viel erinnern.«
»Aber nein«, entgegnete Deborah und zwang sich zu lachen. »Im Gegenteil: Sie haben uns köstlich unterhalten.« Sie wollte seine Ausfälle möglichst herunterspielen.
»Ich bin mir nicht ganz sicher, ob ich das als Kompliment auffassen soll«, erwiderte Spencer. »Was mich betrifft, ärgert mich natürlich am meisten die verpasste Gelegenheit.«
»Ich kann Ihnen, glaube ich, nicht ganz folgen.«
»Na, Sie wissen schon«, erklärte Spencer und senkte seine Stimme ein wenig. »Sie und Ihre Mitbewohnerin Penelope.« Bei diesen Worten zwinkerte er ihr vieldeutig zu.
»Ach so, jetzt verstehe ich«, entgegnete Deborah. Er bezog sich natürlich auf seine lächerliche Vorstellung von einem flotten Dreier. Auf einmal fühlte sie sich von ihm genauso angewidert wie kurz zuvor von dem aufdringlichen Dr. Saunders, doch sie hielt ihre Zunge im Zaum und sagte nur: »Sie heißt Prudence.«
»Natürlich«, sagte Spencer und schlug sich mit der Hand vor die Stirn. »Ach weiß auch nicht, warum ich mir ihren Namen so schlecht einprägen kann.«
»Ich auch nicht«, erwiderte Deborah. »Dann noch mal besten Dank für die Entschuldigung, obwohl sie, wie gesagt, gar nicht nötig gewesen wäre. Ich mache mich dann wieder an die Arbeit.« Sie ging in Richtung ihrer Laborbank, doch Spencer versperrte ihr den Weg.
»Ich dachte, wir könnten es heute Abend noch einmal versuchen. Ich verspreche auch, mich mit dem Wein etwas zurückzuhalten. Was halten Sie davon?«
Deborah sah zu ihm auf, blickte in seine blauen Augen und suchte nach einer angemessenen Antwort. Da sie inzwischen jeglichen Respekt vor ihm verloren hatte, war sie nicht ungeneigt, ihm einen richtigen Korb zu geben. In Anbetracht des Streits zwischen ihm und Dr. Saunders, dessen Zeugin sie am Vortag geworden war, erwog sie, ihm einfach zu sagen, dass sie leider bereits von seinem Rivalen für den Abend zum Essen eingeladen sei. Unter den gegebenen Umständen war das so ziemlich die härteste Abfuhr, die sie ihm erteilen konnte, und zugleich würde sie die Zwietracht zwischen den beiden noch ein bisschen anfachen. Doch sie biss sich auf die Zunge und verkniff sich das Vergnügen. Angesichts ihres eigentlichen Vorhabens würde es nicht besonders klug sein, sich ausgerechnet den Klinikgründer zum Feind zu machen.
»Wir müssen auch nicht wieder in getrennten Autos fahren«, fuhr Spencer fort, als Deborah nicht antwortete. »Wir können uns zum Beispiel alle drei um viertel nach fünf auf dem Parkplatz treffen.«
»Nicht heute Abend«, erwiderte Deborah schließlich mit der süßesten Stimme, die sie herausbringen konnte.
»Dann vielleicht morgen Abend?«, schlug Spencer vor.
»Lassen Sie es uns so machen, dass ich in dieser Angelegenheit auf Sie zukomme«, entgegnete Deborah. »Joanna… ich meine Prudence und ich müssen unbedingt ein bisschen Schlaf nachholen.« Ihr wurde von Kopf bis Fuß heiß, und sie wusste, dass ihr die Röte
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