Cook, Robin
durchzog, konnte man leicht den Überblick verlieren. Zuerst steuerte sie den Bereich an, in dem sie Randys Nische vermutete, doch da war sie nicht. Also ging sie die Gänge systematisch der Reihe nach ab, und schließlich hatte sie Glück. Zu ihrer Freude hockte der Netzwerk-Administrator immer noch vor seinem Monitor. Sie riskierte zwar nur einen flüchtigen Blick, doch wenn sie sich nicht irrte, war er in ein Videospiel vertieft.
Beruhigt griff sie in ihre Handtasche, holte ihr Handy hervor und drückte die Wähltaste; Joannas Nummer hatte sie ja bereits eingegeben. Sie hielt sich das Telefon ans Ohr, wartete genau zwei Wählzeichen ab und drückte die Wahlunterbrechung. Dann verstaute sie das Handy wieder in ihrer Handtasche.
Sie behielt Randys Arbeitsnische aus dem Augenwinkel im Blick und schlenderte zurück in Richtung Hauptflur. Da es keinen geeigneten Platz gab, von dem aus sie unbemerkt sein Büro beobachten konnte, blieb ihr nichts anderes übrig, als ständig in Bewegung zu bleiben.
In dem Augenblick, in dem Joanna das Klingelzeichen hörte, schaltete sie schnell auf Vibrieren um. Auch wenn sie mit dem Klingeln gerechnet hatte, zuckte sie am ganzen Leib zusammen. Ihre Nerven waren zum Zerreißen gespannt.
Sie vergewisserte sich ein letztes Mal mit einem verstohlenen Blick, dass die Luft auf dem Flur rein war, passierte in Windeseile die Tür mit der Aufschrift ZUTRITT VERBOTEN und huschte auf den kurzen Gang, der zum Server-Raum führte. Als die Tür hinter ihr zufiel, atmete sie so schwer, als hätte sie gerade einen Hundert-Meter-Spurt hinter sich. Ihr Puls raste, und ihr war ein wenig schwindelig. Erst jetzt wurde ihr mit aller Klarheit bewusst, dass sie eine Einbrecherin war, und sie fühlte sich plötzlich wie gelähmt. Wie sie leider erst jetzt merkte, war sie nicht dafür geschaffen, in Computer-Server-Räume einzudringen. Die Planung einer solchen Aktion erforderte nicht annähernd so viele Nerven, wie den Plan in die Tat umzusetzen.
Den Rücken gegen die Tür gepresst, holte sie ein paar Mal tief Luft. Sie machte mehrere bewusste Atemzüge und sprach sich selbst mit ein paar aufmunternden Worten Mut zu, bis sie sich schließlich so weit beruhigt hatte, dass sie sich wieder bewegen konnte. Sie wagte sich zunächst nur zögernd und Schritt für Schritt vor, doch als ihr Schwindelgefühl endlich nachließ, fasste sie neuen Mut. An der Tür zum Server-Raum warf sie einen letzten Blick zurück zu der Tür, durch die sie gerade gekommen war. Dann griff sie in ihre Handtasche, holte die blaue Zugangskarte von Spencer Wingate heraus und zog sie mit einer schnellen Handbewegung durch den Schlitz. Erleichtert registrierte sie ein mechanisches Klicken. Damit hatte sie schon mal eine Sorge weniger: Die Karte funktionierte. Sie öffnete die Tür, und im nächsten Moment stand sie im Server-Raum und eilte zum Schaltpult.
Randy Porter war ein wahrer Computerfreak, doch von allem, was mit Computern zu tun hatte, hatten es ihm am meisten die Spiele angetan. Er konnte von morgens bis abends vor einem Spiel hocken, und wenn er nach Hause kam, hatte er immer noch nicht genug. Es war eine regelrechte Sucht. Manchmal spielte er bis drei oder vier Uhr morgens, denn das Internet hatte die Tageszeiten abgeschafft, und irgendwo im World Wide Web fand sich immer jemand, der gerade wach war und Lust auf ein Spiel hatte. Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätte er auch die ganze Nacht durchspielen können; er schaltete den Computer nur irgendwann aus, weil er am nächsten Tag nicht als absoluter Zombie bei der Arbeit erscheinen wollte.
Das Gute an seinem Job in der Wingate Clinic war, dass er während der Arbeitszeit nach Herzenslust seinem Spieltrieb frönen konnte. Das war freilich nicht immer so gewesen. Die Klinik hatte ihn gleich nach seinem Abschluss direkt von der Massachusetts-Universität geholt, damit er das firmeninterne Netz auf Vordermann brachte. Allein das hatte ihn ziemlich ausgelastet, doch gleichzeitig sollte er auch noch sämtliche Daten mit den höchsten verfügbaren Sicherheitsvorkehrungen vor unbefugtem Zugriff schützen. In dieser Zeit hatte er unzählige Überstunden gemacht und immer wieder Außentermine wahrnehmen müssen. Als Nächstes musste er sich dann auch noch um den Online-Auftritt der Klinik kümmern, und bis die Website endlich so aussah, dass alle, die etwas zu sagen hatten, zufrieden und glücklich waren, hatte es noch einmal mehrere Monate harter und ausdauernder Arbeit
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