Cool Hunter
dem Chaos, das um sie herum herrschte. Sie hatten schon Schlimmeres gesehen.
Am Eingang stand eine hochgewachsene Frau, die mir lächelnd die Tür aufhielt. Anfang dreißig, elegant und sehr apart im kleinen Schwarzen, war sie das perfekte Abbild einer stolzen Gastgeberin, die mit dem Verlauf ihrer Party mehr als zufrieden ist.
»Gute Nacht«, sagte sie. »Und vielen Dank, dass Sie unser Gast waren.«
»E-Es war eine polle Tarty«, stammelte ich und trat in das leichte Nieseln hinaus.
Die kühlen Regentropfen machten meinen Kopf frei und auf halbem Weg die Marmorstufen hinunter gelang es meinem verwirrten Hirn, mir die Information zukommen zu lassen, dass die Frau eine Sonnenbrille getragen hatte. Die Kamerablitze hatten ihr nichts anhaben können. Sie gehörte zum Anti-Kunden.
Ich drehte mich um und sah, dass sie mir hinterherschaute. Auf einmal glitt sie näher, und ich stellte fest, dass sie gar nicht so groß war, wie ich gedacht hatte – sie hatte Rollerskates an. Am Absatz der ersten Stufe stoppte sie, blickte zu mir hinunter und nahm ihre Brille ab.
Sie sah umwerfend aus. Es war später Abend, es regnete, alles war von schimmernder Nässe überzogen, und die Scheinwerfer des vorbeirauschenden Verkehrs tauchten ihre anmutig zum Stehen kommenden Sneakers auf Rollen in ein funkelndes Licht.
»Hunter?«, rief sie zögernd.
»›Don’t Walk‹«, murmelte ich, als mir klar wurde, wer sie war.
Mit ihren fließenden Bewegungen und ihrem perfekten, athletischen Körper entsprang die Frau unmittelbar der Fantasiewelt der Sportswear und Energydrinks. Sie verströmte Selbstbewusstsein und Coolness, Stärke und Anmut.
Sie war die Fehlende schwarze Frau aus dem Werbespot des Kunden.
» Hunter! «, brüllte Jen, die neben einem wartenden Taxi unten am Straßenrand stand.
Die Frau lächelte. Dann hob sie die Hand ans Ohr, spreizte den Daumen und den kleinen Finger ab und formte mit den Lippen die Worte: Ruf mich an .
Ich drehte mich um und rannte los.
Kapitel
NEUNZEHN
»Alles okay?«
»Hast du sie gesehen?«
»Wen?«
Ich ließ mich neben Jen auf die Rückbank des Taxis fallen, immer noch vollkommen überwältigt und plötzlich an allem zweifelnd, wovon ich noch vor ein paar Sekunden absolut überzeugt gewesen war.
»Sie …«, war alles, was ich herausbrachte. Ich drehte mich noch einmal nach der Frau auf der Museumstreppe um, als mir auffiel, dass das Taxi nicht losfuhr. »Worauf wart…?«
Mir blieben die Worte im Hals stecken, als ich Jen ansah.
Sie lächelte. »Gefällt dir mein Kleid?«
Mittlerweile weiß ich, dass es scharlachrot war, bauschig und mit viel Tüll und Spitze, extravagant und anachronistisch. Aber in diesem Moment nahm ich es überhaupt nicht wahr.
»Deine Haare …«
Sie kratzte sich am Kopf. »Ach so, ja. Das hatte ich schon länger vor. Sommer und so, du weißt schon.«
Ihre Haare waren bis auf einen Zentimeter heruntergeschoren.
»Ich seh ganz anders aus, oder?«
Ich schaffte es, zu nicken.
»Mein Gott, Hunter.« Sie kratzte sich wieder. »Jetzt erzähl mir bloß nicht, dass du noch nie ein Mädchen mit Kurzhaarschnitt gesehen hast.«
»Äh, doch, klar.« Ich schüttelte grinsend den Kopf. »In Sachen Tarnung gibst du dich wohl nicht mit halben Sachen zufrieden, was?«
Sie lachte. »Als ich auf der Party auf unseren glatzköpfigen Freund zugegangen bin und ihn gefragt hab, wo die Toiletten sind, hat er noch nicht mal mit der Wimper gezuckt.«
Apropos: Das Taxi hatte sich immer noch nicht in Bewegung gesetzt. Ich schaute nervös zum Museumseingang zurück, vor dem die Rollschuh-Frau anmutig über den regennassen Vorplatz glitt.
»Hast du sie gesehen?«, fragte ich. »Durch die Sonnenbrille hat sie …«
»Ich weiß. Ich hab Fotos gemacht – von allen vieren.«
»Oh.« Auf diese geniale Idee war ich nicht gekommen. Die Nahaufnahme von der Future-Sarcastic-Frau war ja eher zufällig entstanden. »Sollten wir nicht so langsam mal den Rückzug antreten?«
»Ich will dir erst noch was zeigen.« Sie holte eine PooSham-Kamera hervor.
»Nicht!« Ich kniff instinktiv die Augen zu. »Diese fiesen Dinger kenne ich schon.«
»Denkste. Schau dir das mal an.« Sie deckte den Blitz mit der Hand ab und drückte auf den Auslöser. Der rote Schimmer zwischen ihren Fingern verstärkte meine Kopfschmerzen.
Dann hielt sie mir ihren Arm vors Gesicht. Der WLAN-Detektor an ihrem Handgelenk blinkte aufgeregt. Die kleinen Leuchtdioden führten ein paar Sekunden lang einen wilden
Tanz
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