Cool Hunter
zeigten alle die gleiche Zeit an wie meine.«
Ich sah mich um. Die Uhren auf den Plakaten standen alle auf zehn nach zehn. »Das machen die Werbefotografen absichtlich, damit die Ziffernblätter wie lächelnde Gesichter aussehen. «
»Ich weiß, aber mir kommt es so vor, als ob die Zeit seit diesem Morgen stehen geblieben ist.«
Ich lachte. »Sind zwar nur Uhren auf Werbeplakaten, aber sogar die gehen zweimal am Tag richtig.«
»Ich hab mich nie davon erholt.«
Jens Blick huschte unruhig über die lächelnden Uhren über uns – ein kleines Säugetier, das ängstlich nach Raubvögeln Ausschau hält.
»Deine Synapsen sind aber ziemlich angreifbar, Jen.«
»Kann sein. Halt mich bitte einfach nur fest, ja?«
Ich hatte ihr gerade vorschlagen wollen, den Wagen zu wechseln, aber sie festzuhalten war viel besser.
Es war niemand zu Hause, als wir bei mir ankamen. Mein Vater nahm an einer Konferenz über Hanta-Viren teil und
meine Mutter war beim Karatetraining. Ich dankte meinem Schicksal, dass ich keine älteren Geschwister hatte, und ging mit Jen in mein Zimmer. Ihre Augen begannen zu leuchten, als sie die Cool-Hunting-Ausbeute in meinen Regalen sah: Vintage Suedes und Hightops vom Kunden, mikroskopisch kleine MP3-Player und eine Sammlung vergangener Modeerscheinungen wie Klick-Klack-Kugeln, Slinkys, Hacky Sacks, Zauberwürfel, bunte Silikonarmbänder und … ich zuckte erschrocken zusammen …
Ich hatte vergessen, meine Bottle Jerseys zu verstecken.
»Was bitte schön ist das denn?«, fragte Jen.
Ich gestehe: Ich war auch mal ein Innovator. Aber nur ein einziges Mal.
Wahrscheinlich habt ihr noch nie was von Bottle Jerseys gehört. Sie bestehen aus so einer Art Schaumstoffmaterial und sind enge Verwandte von diesen Bierdosenkühlern aus Neopren. Bottle Jerseys stülpt man über Wasserflaschen. Sie sehen aus wie die Mannschaftstrikots von Sportlern im Miniformat inklusive Namen und Spielernummer. Bei Basketballspielen werden sie als kleines Give-away an die ersten fünftausend Ticket-Käufer verschenkt; gesponsert werden sie vom Bronx-Zoo oder von irgendeinem Müsliriegelhersteller.
Meine Innovation sah folgendermaßen aus: Statt die Bottle Jerseys über eine Wasserflasche zu stülpen, zog ich sie mir über die Hand. Dazu steckte ich den kleinen Finger und den Daumen durch die beiden Armlöcher und die drei mittleren Finger durch den Halsausschnitt. Das Ergebnis muss man sich ungefähr so vorstellen wie eine Kreuzung aus einem Gipsverband und einer Basketballspieler-Handpuppe. Vor ein paar Jahren
bin ich damit zu einem Spiel der Knicks gegangen, und meine Erfindung machte schneller die Runde durch die Zuschauerreihen im Madison Square Garden als die Legionärskrankheit auf einem Kreuzfahrtschiff. Am nächsten Tag hatte sie bereits Street Credibility erreicht. Ungefähr drei Wochen lang. Unter Sechs- bis Dreizehnjährigen.
Seitdem hab ich sie nirgendwo mehr gesehen.
Es war keine weltbewegende Idee, okay, aber es war meine Idee.
Jen betrachtete schweigend die Reihen leerer Wasserflaschen, die ihre Bottle Jerseys mit dem herzzerreißenden Stolz von Schoßhündchen in Strickpullover trugen und nach Team und Spielerposition angeordnet waren. Ihnen fehlten nur noch winzige Basketbälle, um ihre eigene Zwergenliga zu bilden.
»Äh … das ist meine Bottle-Jersey-Sammlung.«
»Woher hast du die denn? Sieht aus wie das Produkt einer verkorksten Marketingkampagne.«
»Die meisten hab ich bei eBay ersteigert. Man kann sie nicht einfach in Merchandising-Shops kaufen, sondern muss für jeden Spieler jemanden ausfindig machen, der sich das entsprechende Spiel angeschaut hat. Keine leichte Aufgabe.« Ich räusperte mich.
»Hast du eigentlich jemals selbst einen Ball in der Hand, Hunter?«
»Seit meinem Rauswurf aus dem Mittelstufe-Team nicht mehr, nein. Nach meinem Umzug von Minnesota hierher traten einige Schwächen in meinem Spiel zutage. Eine Art Unfähigkeit, Körbe zu werfen oder den Ball zu verteidigen. Die Bottle Jerseys sind alles, was von meinem Traum, Profibasketballspieler
zu werden, übrig geblieben ist.« Ich schnaubte abfällig, als müsste ich meiner sowieso schon offenkundigen Schmach noch mehr Nachdruck verleihen.
»Aha.« Jen ging etwas näher und betrachtete skeptisch eine Wasserflasche mit dem Trikot von Latrell Sprewell (Knicks vs. Lakers, Spielsaison 2001 – 02, gesponsert von einer Süßstoffmarke in rosa Tütchen, Versteigerungswert circa sechsunddreißig Dollar. Vielleicht auch
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