Cool Hunter
Freiluft-Rollerdisco – ein DJ legt ohne jede Ironie ehrwürdigen alten Dancefloor auf und sie skaten im Kreis um ihn herum.
Streng genommen dürften sie in der eingangs beschriebenen Pyramidenhierarchie gar nicht auftauchen. Sie sind Stehengebliebene – gefangen in einer Zeitblase, genau wie die Typen in den Kiss-T-Shirts. Nur eben sehr viel cooler. Sie stammen aus der Zeit, in der die Barrierefreiheit für körperlich Behinderte gesetzlich erlassen wurde. Damals ordnete die Regierung an, jeden Bordstein und jedes Gebäude im Land mit Rollstuhlrampen zu versehen – und initiierte damit völlig unerwartet die Geburtsstunde der modernen Skaterkultur.
Das ist jetzt schon ein paar Jährchen her. Diese Leute sind Veteranen, so was von gestern, dass sie fast schon wieder Avantgarde sind.
Und jeden Samstag tauchte Hiro Wakata, Meister aller fahrbaren
Untersätze, hier auf, trainierte seine Backslides und jagte gleichzeitig nach allem, was neu und cool war.
Normalerweise hielt ich mich seinem Arbeitsbereich fern, schließlich wollte ich einem Cool-Hunter-Kollegen nicht ins Handwerk pfuschen. Es war also ein paar Monate her, seit ich ihn das letzte Mal hier besucht hatte (als Zuschauer wohlgemerkt – auf Rollen war ich nämlich das Gegenteil von cool). Aber für mich stand fest, dass Hiros Hand die erste war, die ich auf der Suche nach dem Anti-Kunden schütteln musste. Mit seinen Mitte zwanzig ist er für einen Cool Hunter schon ziemlich betagt, kennt jeden und skatet quasi schon, seit er laufen kann.
Er war unter den etwa fünfzig anderen im Orbit des DJs kreisenden Skatern leicht auszumachen, als er in seinem ärmellosen weißen Kapuzenshirt gefährlich nah an den Schaulustigen vorbeifegte. Als Jugendlicher war er der König der Halfpipes gewesen, weshalb Rollerskaten so etwas wie seine zweite Muttersprache war, die er fließend beherrschte (übrigens genauso wie Motorrad-, Elektroroller- und Mountainboardfahren.
Ich winkte ihm zu und bei seiner nächsten Runde brach er auf unserer Höhe aus dem Kreis aus. Kleine Kieselsteinchen knirschten unter seinen Rollen und spritzten nach allen Seiten weg, als er den asphaltierten Außenring überquerte, bevor er wie ein Eishockeyspieler schlitternd vor uns zum Stehen kam.
»Hey, Hunter, neuer Haarschnitt?«
»Ist so eine Art Tarnung.«
»Sieht cool aus. Die Hände auch.« Statt den Kopf ein paar Grad zu drehen, um Jen anzusehen, machte er eine halbe Pirouette;
ein Leben auf Rollen hatte ihn zu einem Rotationsjunkie gemacht. »Jen, richtig? Hat mir gut gefallen, was du da neulich auf der Coolnessprobe gesagt hast. Tipptopp.«
Ich merkte, wie sie sich beherrschen musste, nicht die Augen zu verdrehen. Dafür, dass wir Trendsetter waren, musste es für sie irritierend sein, dass wir ständig mit dem gleichen Spruch auf sie reagierten. »Danke.«
»Mandy war so was von angepisst. Ha! Skatest du?«
»Nicht gut genug, um bei euch Cracks mitzulaufen«, antwortete Jen. Vor uns preschte ein Pärchen vorbei, sie hielten sich an den Händen, skateten Rücken an Rücken und wirbelten dann in einer 360-Grad-Dehung um ihre eigene Achse, ohne sich dabei loszulassen. Jen und ich pfiffen gleichzeitig anerkennend durch die Zähne.
»Macht euch nichts draus, ihr dürft trotzdem jederzeit vorbeikommen. « Hiro drehte die nächste Pirouette und sah wieder mich an. »Also, was liegt an?«
»Ich bin auf der Suche nach jemandem und dachte, du könntest mir vielleicht helfen. Sie ist Skaterin.«
Er vollführte eine langsame Drehung – ein König, der stolz seine Ländereien betrachtet. »Ich schätze, da seid ihr hier genau richtig.«
Jen zog einen der Fotoausdrucke aus ihrer Tasche. »Das ist sie.«
Er sah sich das Bild an und nickte mit beinahe ehrfürchtigem Ernst.
»Wow, sie hat sich kaum verändert. Ist eine halbe Ewigkeit her, seit ich sie das letzte Mal gesehen hab, genauer gesagt, seit es zur Spaltung kam.«
»Zur Spaltung?«
»Genau, Mann. Das muss jetzt so zehn Jahre her sein. Ich war damals noch ein kleiner Scheißer und wir wurden ständig von den Bullen schikaniert.« Er zeigte auf den DJ, der inmitten von vier Lautsprechertürmen, zwei Plattentellern und einem brummenden Generator thronte. »Genau da drüben stand früher Wicks Ghettoblaster – in einem Einkaufswagen, damit wir jederzeit abhauen konnten, wenn wir mal wieder erwischt wurden. Sie war ein Original, hat den Platz hier klargemacht, als sie dreizehn war.«
Ich stieß einen befriedigten Seufzer aus – sie
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