Cool Hunter
Paris so schlampig verlegt waren. Der wütende Mob brauchte sich nur zu bücken und sie aufzuheben, um es mit den königlichen Soldaten aufzunehmen. Stell dir vor, ein paar Hundert Bauern bombardieren dich mit diesen Brocken.«
»Autsch.«
»Genau«, bestätigte ich. »Deine tolle Uniform und deine Muskete nützen dir nämlich gar nichts mehr, wenn faustgroße Steine auf dich niederprasseln. Aber in den Städten, in denen die Pflastersteine fest im Boden saßen, konnte das aufgebrachte Volk nichts ausrichten – ergo: keine Revolution.«
Jen dachte einen Moment lang nach und bedachte die Pflastersteine dann mit dem Nicken. »Die hoi polloi konnten sich nur von den Aristokraten befreien, weil der Mörtel im Pflaster unter ihren Füßen bröckelte.«
»Richtig«, sagte ich. »Es brauchte nur einen Innovator, der sagte: ›Hey, lasst uns die losen Pflastersteine rausreißen und
diese Schweine damit bewerfen.‹ Und das war das Ende der hoi aristoi .«
Wir traten aus dem Schatten heraus, und ich blickte an dem alten Gebäude hinauf, vor dem wir standen. Das Gerüst nahm die gesamte Fassade ein, fünf Stockwerke aus Stahlrohren und Holzbrettern. An einer Stelle schimmerte durch eine verblichene jahrzehntealte Werbeaufschrift der Backstein hindurch, und ich konnte erkennen, dass früher einmal ein anderes Gebäude an dieses angegrenzt hatte, von dem nichts geblieben war als ein leichter Farbunterschied in den Backsteinen.
»Wie ist das eigentlich heutzutage mit dem Mörtel?«, sagte Jen. »Hast du nicht auch manchmal das Gefühl, dass alles um uns herum ziemlich schnell zerbröckeln und zusammenbrechen würde, wenn nur irgendjemand herausfände, was man werfen und vor allem wen man damit bewerfen müsste?«
»Das Gefühl hab ich ständig.«
»Ich auch.« Wir überquerten die Hudson Street an einer ziemlich abgenutzten Stelle und Jen kickte mit der Schuhspitze gegen einen der Pflastersteine. Er saß fest in seinem Teerbett und bewegte sich keinen Millimeter. »Ist das womöglich die Mission des Anti-Klienten? Den Mörtel zu lockern? Vielleicht haben sie herausgefunden, womit sie werfen müssen.«
»Vielleicht.« Ich benutzte meine Hand als Sonnenschutz und las mit zusammengekniffenen Augen das nächste Straßenschild und die Hausnummern, die darauf standen. Die Büroräume von Movable Hype befanden sich in einem hoch aufragenden alten Backsteingebäude in der Mitte des vor uns
liegenden Straßenabschnitts. »Aber viel wahrscheinlicher ist, dass sie einfach mit allem werfen, was sie zwischen die Finger kriegen.«
»Samstags geschlossen«, sagte ich, als wir vor der Tür des Gebäudes standen, und sprach damit aus, was uns eigentlich schon hätte klar sein müssen, bevor wir uns auf den Weg gemacht hatten. Schließlich hatte niemand das Telefon abgenommen, als wir dort angerufen hatten. Das hier war ein Büro, und ganz egal, wie unkonventionell Futura Garamonds Layoutästhetik auch sein mochte, jetzt im Sommer hielt er es samstags wie die meisten anderen: Er nahm sich frei.
»Sehr gut.« Jen drückte wahllos auf einen der Klingelknöpfe, was sofort ein nervöses Ziehen in meiner Magengrube auslöste.
»Ja?«, kam es knisternd aus der Gegensprechanlage.
»Paketzustellung«, schnarrte Jen mit gespielt tiefer Stimme.
»Nicht schon wieder die Nummer«, murmelte ich.
»Srrrrrrr«, summte der Türöffner.
Die Büroräume von Movable Hype lagen im obersten Stockwerk. Das Treppenhaus schraubte sich um einen altmodischen zehnstöckigen Fahrstuhlkäfig herum in die Höhe, an dessen Fuß die Liftkabine ruhte, deren Gittertür übers Wochenende abgeschlossen war. Ab der Hälfte der Stockwerke ging Jen in Führung – ich sah nur noch ab und zu ihre roten Schnürsenkel zwischen den schmiedeeisernen Verstrebungen des Fahrstuhlschachts aufblitzen. Sie nahm die Stufen mit der geübten Lässigkeit derjenigen, die in einem Haus ohne Fahrstuhl wohnen. (Das Gebäude, in dem meine Eltern und ich wohnten,
war mehr als sechs Stockwerke hoch – das entscheidende Kriterium für den Einbau eines Aufzugs –, was meine schlechte Kondition erklärte.)
»Warte!«
Sie wartete nicht.
Als ich im zehnten Stock ankam, stand Jen schon vor dem Eingang des Büros. »Die Tür ist abgeschlossen.«
»Na so eine Überraschung. Und was machen wir jetzt? Die Tür eintreten?«
»Zu massiv. Aber schau dir das mal an.«
Sie deutete auf eine Reihe von Fenstern, die auf den Lichtschacht führten. Früher richtete sich die Höhe der Miete für
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