Cool Hunter
nachdem sie im Netz die Gegenprobe gemacht hatte. »Futura ist mindestens von vier Zeitschriften gefeuert worden, die diesem Medienriesen gehören.«
»Klingt nach einem Motiv.«
»Und jetzt hör dir das mal an: Vor ein paar Jahren hatte er anscheinend die Nase voll davon, ständig rausgeschmissen zu werden, und beschloss, sich umzuorientieren, ›um eigene Interessen zu verfolgen‹ – was immer das auch heißen mag …«
Ich beugte mich über ihre Schulter und las, dass Futura Garamonds Karriere ihren vorläufigen Höhepunkt in Form einer kleinen Grafikdesign-Agentur namens »Movable Hype« gefunden hatte, deren Alleininhaber und Geschäftsführer er war. Der ewig Gefeuerte hatte die Seiten gewechselt.
»Sieh dir mal die Adresse an«, raunte Jen.
»Bingo.«
Die Büroräume von Movable Hype befanden sich in Tribeca, nur ungefähr drei Blocks von dem verlassenen Gebäude entfernt, in dem Mandy verschwunden war.
Ich erhaschte auf der spiegelnden Oberfläche des Bildschirms einen Blick auf Jens Lächeln.
»Er hatte nicht nur ein Motiv«, sagte sie, »sondern auch eine Gelegenheit.«
Kapitel
FÜNFUNDZWANZIG
»Das ist der Crème-brûlée-Distrikt.«
»Wie bitte?«
»Meine Schwester tauft die Stadtviertel nach den Desserts, die dort am häufigsten auf den Speisekarten zu finden sind«, erklärte Jen. »Westlich von uns liegt Grüntee-Eis und südlich Tiramisu.«
Sie hatte recht. Das erste Restaurant, an dem wir vorbeikamen, war ein winziges, zwischen einer Kunstgalerie und einer Reifenreparaturwerkstatt eingeklemmtes Bistro, auf dessen Speisekarte tatsächlich Crème brûlée angeboten wurde – diese in kleinen Schälchen servierten Puddings aus Eigelb, Sahne, Milch und Zucker, deren oberste Schicht mit einem Bunsenbrenner knusprig karamellisiert wird. Pyromanie als Handlanger der Innovation.
»Wie geht es deiner Schwester eigentlich?«
»Sie ist wieder etwas gnädiger gestimmt, seit sie ihr Kleid untersucht und festgestellt hat, dass es keine Risse hat.«
Gut möglich, dass ich unmerklich zusammenzuckte.
»Oh nein, Hunter, tut mir leid. Das mit deinem Jackett hatte ich grade völlig vergessen.« Jen blieb stehen. »Hör zu, wir teilen uns das, okay? Immerhin war die ganze Verkleidungsaktion meine Idee.«
»Das musst du nicht, Jen.«
»Du kannst mich nicht davon abhalten.«
Ich lachte. »Und ob ich das kann. Was willst du denn machen? Mich fesseln und knebeln und dann meine Kreditkartenabrechnung bezahlen?«
»Nur die Hälfte davon.«
»Das sind trotzdem noch fünfhundert Dollar.« Ich schüttelte den Kopf. »Nein, vergiss es. Mir wird schon was einfallen und bis dahin zahle ich erst mal nur den Mindestbetrag. Außerdem spornt mich das nur noch mehr an, Mandy zu finden. Ich hab gehört, dass sie Leuten, die ihr das Leben retten, lukrative Extraaufträge verschafft.«
»Na dann«, seufzte Jen. »Ich hätte das Geld jetzt sowieso nicht gehabt. Diesen Monat ging das meiste für Telefon, DSL und den Kabelanschluss drauf. Aber vielleicht fällt mir ja noch was ein, was man mit dem Jackett machen kann.«
»Ich glaube, in diesem Fall kommt jede Hilfe zu spät.«
»Nein, ich meinte, dass sich vielleicht noch irgendwas Interessantes daraus machen lässt. Eine coole Jacke oder so. Ein Jen-Unikat.«
Ich griff lächelnd nach ihrer Hand. »Ich hab schon was viel Besseres.«
Sie lächelte zwar verheißungsvoll, zog mich aber weiter. Erst als wir ein paar Schritte später in den Schatten eines Baugerüsts traten, blieb sie plötzlich stehen und küsste mich.
Es war angenehm kühl unter dem Gerüst, und auf den Straßen des Crème-brûlée-Distrikts waren an diesem hochsommerlichen Samstagnachmittag kaum Menschen unterwegs. Ein Taxi rumpelte neben uns über einen Streifen Kopfsteinpflaster.
Ganz egal, wie oft neu asphaltiert wurde, die Reifen der Autos trugen die dünne Teerschicht immer wieder ab und legten die alten Steine frei, die wie neugierig aus dunklem Wasser lugende Schildkröten aussahen.
»Die Französische Revolution«, murmelte ich, noch ein bisschen atemlos vom Küssen.
Jen, die sich offenbar allmählich daran gewöhnt hatte, dass die in meinem Gehirn gesammelten Fakten gern mal in meinem Mund spazieren gingen, schmiegte sich an mich. »Red weiter.«
Ich lächelte und deutete auf die höckerige Oberfläche. »Die europäischen hoi polloi waren damals in allen Ländern superangepisst, aber nur in Frankreich hatte die Revolution Erfolg. Und weißt du auch, warum? Weil die Pflastersteine in
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