Cool Hunter
Inneren.
»Jen?«
Ich ignorierte den schwindelerregenden Abgrund und beugte mich aus dem Fenster.
Auf der anderen Seite tauchte ihr triumphierend grinsendes Gesicht auf.
»Wow. Das war so was von cool!«
Noch immer bis in die Haarspitzen mit Adrenalin vollgepumpt, atmete ich zitternd aus. Jetzt, wo Jen den Lichtschacht wohlbehalten überquert hatte, war mir plötzlich selbst nach einer kleinen Stunteinlage. Schon irgendwie seltsam, wie das immer läuft: Noch vor einer Minute hatte ich die Idee völlig bescheuert gefunden, aber kaum zeigte eine Innovatorin mir, wie es ging, wollte ich unbedingt der Nächste sein.
Ich dachte an meinen Einfallsreichtum im Meteoritensaal, an meine furchtlose Flucht durch das Tal der PooSham-Blitze. Ich war nicht mehr der mit den langen Zotteln, ich war jetzt der, der keine Gefahr scheute.
Ich schwang kühn ein Bein nach draußen. Der Lichtschacht rief nach mir, wollte von mir bezwungen werden.
»Ähm, Hunter …«
»Ich will auch rüber.«
»Ja, natürlich, aber …«
»Ich schaff das!«
Sie nickte. »Klar schaffst du das, aber wie wär’s, wenn ich dir stattdessen einfach die Tür aufmache?«
Ich erstarrte, die eine Hand an den Fensterrahmen geklammert, die andere ins gähnende Nichts gereckt.
»Spitzenidee.«
Ich kletterte vorsichtig in den Hausflur zurück und trottete zum etwas einfacher zu erreichenden Eingang von Movable Hype. Die stahlverkleidete Tür gab ein metallisches Scheppern von sich, als ein Schlüssel mehrmals umgedreht wurde, dann öffnete sie sich.
»Das wirst du nicht glauben!«, sagte Jen.
Kapitel
SECHSUNDZWANZIG
Sie hingen überall an den Wänden. Eine neben der an deren.
Allerdings entsprach das Layout der Seiten nicht Futuras üblichem Stil. Er hatte sich ausnahmsweise mal zurückgehalten und das pseudohippe, aber künstlerisch letztlich harmlose Design eines Trendmagazins für junge Multimillionärsanwärter meisterhaft kopiert.
» Hoi Aristoi «, sagte Jen.
»Scheint so.« Ich sah mir die Seiten genauer an. Die Fotos auf den Layouts stammten ausnahmslos von der Launch-Party. Betrunkene, durchgeknallt dreinschauende junge Menschen in feinstem Designerzwirn, die in ihrer Bissigkeit gegenüber anderen, ihrer unverhohlen zur Schau getragenen Gier und ihrem krampfhaften Statusgehabe fast animalisch wirkten. Ihre Körpersprache war so deutlich zu lesen wie eine Neonreklame. Die Botschaft, die ihre zerknitterten Kleidungsstücke und schief sitzenden Fliegen vermittelten, war kristallklar. Je später der Zeitpunkt, zu dem die Party-Bilder aufgenommen worden waren, desto größer die Risse im Mörtel der Prachtfassade der Privilegierten und Mächtigen. Ihr Anblick war so jämmerlich wie ein mit Noble Savage bekleckerter Kummerbund. Im Gegensatz zu ihnen wirkten die ausgestopften
Karibus im Hintergrund intelligent und im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte.
Auf einem langen Arbeitstisch entlang der Wand stapelten sich Tausende von ausgedruckten Fotos – die Ausbeute von circa fünfhundert Kameras, ein Armutszeugnis für die Reichen. Es war genau, wie Jen vermutet hatte: Jedes mit den Gratis-WLAN-Kameras geknipste Bild war vom Anti-Klienten abgefangen worden.
»Futura muss nach der Party hierhergekommen sein und die ganze Nacht durchgearbeitet haben.« Mein Blick wanderte nervös zur Eingangstür der Agentur. »Meinst du, er ist nach Hause, um sich ein paar Stunden hinzulegen, oder bloß kurz einen Kaffee trinken?«
»Könnte gut sein, dass er jeden Moment zurückkommt«, vermutete Jen. »Die Seiten sind schon komplett gelayoutet und jetzt müssen nur noch die Fotos eingesetzt werden. Die wollen anscheinend keine Zeit verlieren.«
»Wo wir gerade beim Thema sind …« Ich ging auf die Tür zu.
»Aber was soll das werden?« Jen dachte nicht daran, zu gehen. »Ist das eine gefakte Ausgabe von Hoi Aristoi oder macht Futura das Original?«
Ich zuckte mit den Schultern. »Das liegt wohl im Ermessen derjenigen, die sich das Heft anschauen.«
»Das Cover muss irgendwo da hinten hängen.«
Sie ging die Wand ab und zählte die Seitenzahlen herunter. Schweren Herzens gab ich die Hoffnung auf einen schnellen Abgang auf und folgte ihr. Hier waren echte Profis am Werk gewesen: Das war keine Parodie, sondern die perfekte Nachahmung eines Hochglanzmagazins. Futura Garamond hatte sogar echte Anzeigen eingebaut, die aus der ersten Ausgabe
stammten und für ein überzeugendes Plagiat natürlich genauso unentbehrlich waren wie alles andere.
An der Rückwand des
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