Cool Hunter
ein Apartment nach der Anzahl seiner Fenster. Um also möglichst viele Fenster einbauen zu können, kamen findige Bauherren auf die Idee, Gebäude mit schmalen Lichtschächten in der Mitte zu errichten, und schufen damit ein ganz typisches Merkmal New Yorker Wohnungen: Die meisten haben zur Rückseite Fenster, die nur etwa einen Meter von denen ihrer Nachbarn entfernt sind. Mandy hatte sich immer wieder darüber beklagt, dass ihr Küchenschaben fressender Kater Muffin an heißen Tagen, wenn überall die Fenster offen standen, gern in Nachbarwohnungen rübersprang – vermutlich um zu testen, ob die Küchenschaben dort schmackhafter oder weniger katzenscheu waren.
Jen zeigte durch eines der Fenster in den viereckigen Lichtschacht hinaus. Auf der rechten Seite befand sich ein weiteres Fenster, das im Neunzig-Grad-Winkel zu dem stand, durch das wir schauten. Dahinter konnte ich ein paar Schreibtische und ausgeschaltete Computer erkennen.
»Movable Hype.« Sie entriegelte das Fenster.
»Äh, Jen …«
Sie schob das Fenster resolut nach oben und schwang ein Bein über den Sims, unter dem es ungefähr dreißig Meter in die Tiefe ging.
»Jen!«
Sie streckte die Hand nach mir aus. »Halt mich fest.«
»Vergiss es!«
»Ich kann die Sache auch allein durchziehen, wenn dir das lieber ist.«
»Herrgott, nein!« Ich begriff, dass sie es absolut ernst meinte. Sie würde versuchen, sich zu dem anderen Fenster rüberzubeugen und es zu öffnen, ob ich ihr nun helfen würde oder nicht.
»Hey, sieh’s doch mal so: Das Fenster ist nur einen knappen Meter entfernt. Wenn es nicht so tief nach unten ginge, würdest du keine Sekunde zögern.«
»Richtig, wenn so tief nach unten nicht den sicheren Tod bedeuten würde, würde ich keine Sekunde zögern.«
Sie warf einen Blick in den Schacht. »Ja, das würde todsicher meinen Tod bedeuten. Und genau deswegen wirst du mich jetzt auch festhalten.« Sie winkte mich ungeduldig zu sich.
Ich seufzte und schloss beide Hände um ihr linkes Handgelenk.
»Aua, nicht so fest.«
»Damit wirst du leider leben müssen.«
Jen verdrehte bloß die Augen, dann beugte sie sich quer über den Schacht und griff mühelos mit der rechten Hand nach dem Fenster, das zu den Räumen von Movable Hype führte. Ihr Handgelenk drehte sich zwischen meinen Händen, während sie das Fenster ein paar Zentimeter nach oben schob – bis es klemmte.
»Warte mal.« Sie verlagerte ihr Gewicht auf dem Sims und beugte sich noch ein bisschen weiter rüber. Ich stemmte einen Fuß gegen die Wand unter dem Fenster und lehnte mich zurück, als wäre Jen ein Seil in einem Tauziehwettbewerb. Unter größter Kraftanstrengung gelang es ihr, das Fenster noch ein Stück weiter nach oben zu schieben.
»Okay, du kannst jetzt loslassen.«
»Warum?«
»Na, damit ich rüberklettern kann, Dummerchen.«
Ich dachte daran, mich zu weigern und sie einfach so lange auf der sicheren Seite des Lichtschachts festzuhalten, wie ich konnte. Das Problem war nur, dass Jen so lange warten würde, bis ich keine Kraft mehr in den Händen hätte, um dann zu diesem verdammten Fenster hinüberzuklettern. Und ihr das Blut in der linken Hand abzudrücken, war irgendwie auch nicht viel besser, als sie dem sicheren Absturztod zu überlassen.
»Okay, dann lass ich dich jetzt los.« Ich richtete mich auf und gab Jen langsam frei.
Sie schüttelte ihre Hand aus. »Wenn das keine blauen Flecken gibt … Aber danke.«
»Sei einfach nur vorsichtig, ja?«
Sie fand ihr Lächeln wieder und schwang nun auch das andere Bein nach draußen. »Ja, Paps.«
Ihre Knöchel traten weiß hervor, als sie sich mit einer Hand am Fensterbrett festhielt und mit der Spitze ihres rechten Schuhs auf einem kleinen Vorsprung in der Ecke des Lichtschachts Halt suchte. Mit der linken Hand griff sie dann nach dem Fensterbrett schräg gegenüber, klammerte sich daran fest und zog sich anschließend mit einem Ruck hinüber.
In den wenigen Sekunden, in denen sie zwischen den beiden Fenstern hing, sackte mein Magen gefühlte hundert Meter in die Tiefe. Alles in mir schrie danach, wieder nach ihr zu greifen, aber ich wusste, dass schwitzige Hände jetzt das Letzte waren, was sie gebrauchen konnte. Und dann war sie tatsächlich drüben, hielt sich mit beiden Händen am gegenüberliegenden Fensterbrett fest und stemmte sich an den Außenwänden ab, um sich in das offene Fenster zu ziehen.
Die schwarzen Sneakers mit den roten Schnürsenkeln verschwanden mit einem dumpfen Aufprall im
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