Cool Hunter
mal.
Wenigstens hasste sie mich nicht mehr.
»Vielleicht wären sie mit unserer Hilfe sogar noch cooler, Hunter.«
Ich sah sie an und lachte, aber gleichzeitig wusste ich, dass ich ihr helfen würde, die Spalter zu finden. Weil Jen glaubte,
dass sie sie brauchte, und weil ich Jen brauchte. »Klar, könnte sein.«
Sie schaute zur Fabrik hinüber und zog kurz die Schultern hoch. »Ich hab ein Geschenk für dich.«
»Noch eins?«, sagte ich.
»Das Jackett war ja kein Geschenk. Das hast du schließlich selbst gekauft und bezahlt.«
Ich zuckte kurz zusammen. »Bezahlt leider noch nicht.«
Sie lächelte, verstaute den Feldstecher in ihrem Rucksack (nicht ohne ihn – wie ich erleichtert zur Kenntnis nahm – zuvor in sein dick gepolstertes Etui aus Sowjetzeiten zurückzustecken) und zog dann eine Papiertüte heraus. Noch bevor sie sie geöffnet hatte, nahm ich den Geruch von verbranntem Plastik wahr.
»Ich hab dir gesagt, dass ich noch einen finden würde. Und wenn du nicht abgehauen wärst, hätte ich nicht volle zwei Stunden dafür gebraucht.« Sie wickelte ihn vorsichtig aus, während sie sprach. »Nur einen einzigen, er lag ganz zuunterst in dem Haufen.«
Mir fiel die Kinnlade runter.
Er war wie durch ein Wunder unversehrt geblieben – das Obermaterial schimmerte noch immer silbrig wie Metall, die Schnürsenkel glitten durch meine Finger, als wären sie aus reiner Seide, und die dünnen Speichen in den Ösen schienen zu rotieren, als ich die Schuhsohle zusammenbog.
Ich hatte fast vergessen, wie gut er war.
»Riecht noch ganz schön verbrannt«, sagte Jen. »Aber ich hab eine Duftsohle reingelegt und er stinkt schon ein bisschen weniger.«
»Ist mir egal, wie er riecht.«
Mir wurde klar, dass ich ihn genau so gebraucht hatte wie sie. Jen war sehr empfänglich für äußere Reize. Ihr Gehirn war einzigartig, eine kurze Paka-Paka-Attacke reichte, um es sofort wieder in das einer Zehnjährigen zu verwandeln, und es fürchtete weder dreißig Meter tiefe Lichtschächte noch eine heimliche Revolution. Aber ich selbst hatte mich seit einer Ewigkeit nicht mehr so gefühlt – so als könnte ich fliegen oder wenigstens einen Ball mühelos von der Freiwurflinie aus im Korb versenken; so als würde der Mörtel in meinem Kopf bröckeln und sich auflösen. Ich drückte den Schuh fest an mich.
»Und? Hältst du die Spalter immer noch für wahnsinnig gefährlich?«, fragte Jen.
Ich schluckte, blickte über den Fluss hinweg zu den Feinden von all dem hinüber, was mir immer am Herzen gelegen hatte, und bedachte sie mit dem Nicken.
»Sie haben auch ihre guten Seiten.«
Kapitel
SECHSUNDDREISSIG
Ich besaß den Schuh ungefähr drei Wochen lang. Dann kam meine Kreditkartenabrechnung. Drastische Situationen erfordern drastische Maßnahmen.
»Du kannst dir ja ein Paar kaufen, wenn sie auf den Markt kommen«, tröstete mich Jen.
»Ja, aber keine mit dem Originallogo.« Ich würde den roten Schrägbalken über dem geschwungenen Haken vermissen, das Symbol für etwas, das der Philosoph Max Scheler einmal so ausdrückte: »Der Mensch ist das Tier, das Nein sagen kann.«
Zu einem gewissen Kreditkartenunternehmen, dessen Name sich aus vier Buchstaben zusammensetzt, konnte ich leider nicht Nein sagen. Also riefen wir Antoine an, um sicherzugehen, dass er im Laden war, teilten ihm mit, dass wir ihm etwas Wichtiges zu zeigen hätten, und machten uns über die Brücke zum Festland auf.
»Dr. Jay’s« wurde zeitgleich mit der Hip-Hop-Kultur 1975 in der Bronx gegründet. Der Laden existiert heute noch und hat mittlerweile überall in der Stadt Filialen. Er führt Schuhe, Trainingsanzüge und alles Mögliche andere, das mit Sport zu tun hat und aus Synthetikmaterialien hergestellt wird, die Supplex oder Ultrah heißen – Space-Age-Vokabular, das beim Kunden Bilder von Roboterkurtisanen heraufbeschwören soll.
»Hey, Hunter – alles klar, Mann?« Antoine knallte seine Faust auf meine, dann bedachte er Jen mit dem Nicken, womit er vermutlich zum Ausdruck bringen wollte, dass er sich an den Kommentar erinnerte, den sie auf dem Treffen der Fokusgruppe von sich gegeben hatte und den er ziemlich cool gefunden hatte.
Er führte uns durch das fröhliche, mithilfe einer eindrucksvollen Beschallungsanlage noch verstärkte Chaos nach hinten: Kinder, die durch die Gänge flitzten, um Sitz und Tragekomfort ihrer neuen Sneakers zu testen, junge Männer, die Trikots anprobierten, um die perfekte Länge zwischen Hüfte und Knie zu finden, in
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