Cool Hunter
Jen.
»Was denn aufgeben?«
»Die Suche.«
»Wonach? Die Schuhe sind weg.«
Sie gab keine Antwort, schüttelte nur starrsinnig und wütend den Kopf wie eine Zwölfjährige, die gezwungen wird,
nach New Jersey zu ziehen. Als wäre ich ein Idiot, wenn ich glaubte, sie könne die Antwort so leicht in Worte fassen. Wo doch nichts so schwer zu finden war wie das, wonach sie suchte: verlorene Coolness.
»Vielleicht ist es besser so, Jen«, tröstete ich sie.
»Besser?«
»Willst du wirklich für diese Typen arbeiten? Die großen Pläne der Spalter verwirklichen? Jede Minute deines Lebens mit nichts anderem beschäftigt sein, als die Welt zu verändern? «
Sie starrte mich mit zornfunkelndem Blick an. »Ja, genau das will ich.«
»Meinst du das ernst?«
»Das hab ich schon immer gewollt.« Sie stocherte wieder in der Asche herum und wirbelte eine Wolke aus schwarzen Rußpartikeln auf, die mich dazu zwang, mich abzuwenden und die Augen zuzukneifen. »Was willst du denn, Hunter? Dich weiter dafür bezahlen lassen, dir Werbespots anzuschauen? In Fokusgruppen abhängen und darüber diskutieren, ob Stulpen wieder in Mode kommen? Nach coolen neuen Schnürsenkeln jagen? Immer nur beobachten, statt einzugreifen und etwas zu tun ?«
»Ich beobachte nicht nur.«
»Nein, du machst Fotos und verkaufst sie, du entwickelst Theorien und liest eine Menge. Aber du tust nichts.«
Ich sah sie mit großen Augen an.
»Ich tue nichts?« Ich war mir ziemlich sicher, dass ich einiges getan hatte. Zumindest in den letzten zwei Tagen. Seit ich sie kennengelernt hatte.
»Ja genau. Du beobachtest bloß. Du analysierst. Du folgst .
Das ist es, was du an der Pyramide am liebsten magst: sie dir von außen ansehen. Aber du hast Angst, etwas in ihrem Inneren zu verändern.«
Ich schluckte – der Rauchgeschmack in meinem Mund erinnerte mich an verbrannten Toast – und sagte nichts. Was denn auch? Sie hatte ja recht. Ich war ihr bis hierher gefolgt. Wo ich längst aufgegeben hätte, war sie stur immer weitergegangen. Ich hatte mich an sie drangehängt und auf der Jagd nach dem Unheimlichen, dem Erschreckenden von ihrem Mut profitiert – so wie Cool Hunter es schon immer getan hatten.
Und am Ende hatte ich noch nicht einmal das hingekriegt, was ich eigentlich am besten konnte: die Augen aufzuhalten und genau zu beobachten. Ich hatte nicht gemerkt, dass wir verfolgt wurden, und zugelassen, dass eine Bande dämlicher Purpurner Jen für ihre Zwecke benutzt und sie mit nichts als einem Haufen Asche zurückgelassen hatte.
Ich dachte daran, wie ich Mandy das Foto von Jens Schnürsenkeln gemailt hatte – schon bei unserer allerersten Begegnung hatte ich sie verraten und verkauft. Ich war nichts als ein Betrüger. Immer noch der gleiche uncoole Typ, der ich gewesen war, als wir damals von Minnesota hergezogen waren.
Ich hatte es nicht verdient, bei den Spaltern mitzumachen oder Jens Freund zu sein.
»Okay. In Zukunft werde ich dir nicht mehr im Weg stehen. « Ich stand auf.
»Hunter …«
»Nein. Ich will dir auf keinen Fall mehr im Weg stehen, hörst du?« Noch nie hatte meine Stimme so schroff geklungen oder der Kloß in meinem Magen sich so schwer angefühlt.
Ich ging davon, und noch bevor ich die Straße erreicht hatte, hörte ich, wie sie sich wieder an die Arbeit machte und weiter den Aschehaufen durchwühlte.
Kapitel
VIERUNDDREISSIG
»Hast du dir die Hände gewaschen?«
»Ja, ich habe mir die Hände gewaschen.«
Mein Vater blickte auf und sah mich an. Ausnahmsweise einmal schien er meinen Tonfall beunruhigender zu finden als das allmorgendliche Schreckens-Diagramm.
»Oh, natürlich. Entschuldige bitte.«
Sieg. Wenn ich wenigstens hätte lächeln können. Nach all den Jahren war es mir endlich gelungen, meiner Stimme genau den richtigen roboterartigen Klang zu geben. Tonlos, seelenlos, leer. Ich wusste, dass mein Vater mich nie wieder fragen würde, ob ich mir die Hände gewaschen hätte.
Meine Wut auf Jen – und auf mich selbst – war schon gestern Abend auf dem Nachhauseweg verraucht und hatte sich, als ich ins Bett ging, in etwas Hartes, Kaltes verwandelt. Jetzt, am Morgen, war ich innerlich nur noch tot.
Mom schenkte mir schweigend Kaffee ein.
Eine volle Minute später fragte mein Vater: »Anstrengendes Wochenende gehabt?«
»Ziemlich.«
»Gefällt mir immer noch sehr gut, wie du deine Haare jetzt trägst«, sagte Mom, und ihre Stimme ging am Ende ein bisschen hoch, als hätte sie eine Frage
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