Coole Geschichten für clevere Leser
schienen ihn die dünnen Finger jedoch im Stich zu lassen, und er blickte hilflos zu ihr auf.
»Hier verfranse ich mich immer«, sagte er leichthin. Ein seltsamer Schimmer lag um seinen blonden Kopf – das Licht des Wohnzimmerfensters.
»Egal, Sie spielen wundervoll«, sagte Edwina. »Sie sind nur ein bißchen schüchtern beim fortissimo – das schaffen Sie schon noch.«
Er blickte auf die Tastatur. »Nicht nur dort bin ich schüchtern – Edwina.«
»Beschränken wir unser Gespräch auf die Musik, Bertram.«
»Das will ich aber nicht. Sie wissen, worüber ich mit Ihnen sprechen möchte. Sie wissen das seit der ersten Stunde.«
Ihre Hand lag auf dem Klavierrand. Er legte seine Finger darüber. Sie wehrte ihn nicht ab.
»Edwina, wir können unsere Fehler nicht ewig vor uns herschieben. Wir müssen etwas dagegen unternehmen, wir müssen sie tilgen und neu beginnen.«
»Sie reden Unsinn!«
»Sie wissen, wovon ich rede. Sie gehören eigentlich nicht in dieses Haus, Edwina, nicht zu ihm. Sie sind eine schöne und sehr empfindsame Frau …«
»Eine Frau«, sagte sie sanft. »Eine Frau, Bert, und kein Kind.«
»Sie halten mich für ein Kind?«
Ihre Augen füllten sich mit Tränen, und sie legte den Arm um seinen goldenen Kopf und drückte ihn an ihre Brust.
»Nicht«, sagte sie. »Sprechen Sie nicht davon. Die Lage ist schon schlimm genug. Darüber reden macht alles nur schlimmer.«
»Geben Sie mir einen Kuß, Edwina?«
Sie lächelte ein wenig spöttisch und gab ihm einen leichten Kuß auf den Mund. Dann wandte sie sich ab und konzentrierte sich auf ihre Noten.
Bertram stieß ein kurzes Freudenlachen aus und stürzte sich energisch auf die Klaviertasten.
In der Nacht regnete es heftig, und das beständige Rauschen auf dem Dach und am Fenster ließ Al Bowen noch tiefer schlafen als sonst. Er schnarchte, sein Mund war ein klaffender Kreis, der Körper lag hingestreckt auf dem Bett, die Decke war zur Hälfte verrutscht.
In dem anderen Bett kämpfte Edwina Bowen unruhig wimmernd mit der Nacht.
Plötzlich war sie ruhig.
Sie richtete sich auf und starrte mit leerem Blick ins Dunkle. Dann trat sie in Aktion.
Sie zog die Decke zur Seite, ließ die Füße in die Pantoffeln gleiten und ging lautlos zur Kommode.
Sie zog die zweite Schublade auf, nahm das Hemd fort, das die Waffe bedeckte, und hob die Automatic heraus.
Langsam brachte sie sie ans Fußende von Al Bowens Bett.
Sie hob die Waffe und zielte damit auf seine breite Brust.
Sie drückte ab.
Die Waffe machte klick.
Sie senkte die Waffe, legte sie wieder in die Schublade und legte sich beruhigt schlafen.
Das Geräusch zuknallender Schubladen und klickender Schlösser weckte sie. Sie fuhr hoch und sah, daß ihr Mann mit Packen beschäftigt war und dabei mürrisch vor sich hin brummte.
»Tut mir leid«, sagte sie. »Du hättest mich wecken sollen, Al.«
»Glaubst du, ich hätte es nicht versucht?« fragte er gereizt. »Du wußtest genau, daß ich den Frühzug erreichen muß – jetzt hast du noch nicht mal den Kaffee aufgestellt.«
Hastig stieg sie aus dem Bett und versuchte ihre Pantoffeln anzuziehen; dabei begann sie zu taumeln. Im letzten Moment hielt sie sich fest.
»Mir ist schon wieder so komisch«, sagte sie. »Als hätte ich überhaupt nicht geschlafen …«
»Morgen abend bin ich zurück«, sagte Al und knallte den Koffer zu. »Die Firma hat mir Finlays zugeteilt, den neuen Laden. Das bedeutet mindestens fünfzig oder sechzig Scheine mehr.«
»Das ist ja wunderbar …«
»Ja.« Er starrte sie mit zusammengepreßten Lippen an. »Fünfzig Piepen sind mehr, als du für zehn Unterrichtsstunden bekommst. Du sagst also Bertie, er soll sich verzischen.«
»Das meinst du doch nicht im Ernst!«
»Und ob! Wir brauchen sein mieses Geld nicht. Er kommt mir nicht mehr ins Haus!«
»Aber es geht nicht nur um das Geld! Ich habe dem Jungen wirklich helfen können, Al. Ich kann ihn nicht einfach so fallen lassen.«
»Und ob du das kannst! Wenn ich den mondäugigen Knilch noch mal im Haus erwische, kriegt er eins in die Kiemen! Ruf ihn an und sag ihm, daß der Unterricht beendet ist. Begriffen, Edwina? Der Unterricht ist beendet!«
Sie saß auf der Bettkante und blickte zu Boden.
»Das ist nicht fair, Al. Das ist nicht fair!«
»Wem gegenüber?«
Er trat vor sie hin und beugte sich über sie.
»Wem gegenüber ist das nicht fair?« fragte er. Seine muskulösen Hände griffen zu und zerrten sie hoch, doch sie wich seinem Blick aus. »Was ist?«
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