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Coole Geschichten für clevere Leser

Coole Geschichten für clevere Leser

Titel: Coole Geschichten für clevere Leser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Slesar
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Edwina Bowen und ihr Mann, verschieden sogar im Schlaf. In seinem Bett am Fenster lag Al Bowen wie ein toter Krieger, die mächtige Brust von tiefen Atemzügen geschwollen. Düsenmaschinen mochten über das Dach dröhnen, Busse mochten durch Schlaglöcher poltern – nichts konnte seinen Schlaf stören. Edwina dagegen, bleich wie das Mondlicht, das durch das Fenster hereindrang, wälzte sich murmelnd und stöhnend im Bett und kämpfte gegen die Nacht.
    Plötzlich stellte sie den Kampf ein und richtete sich auf.
    Sie öffnete die Augen und starrte in die Dunkelheit.
    Ohne mit den Lidern zu zucken, zog sie die Bettdecke zur Seite.
    Ihre kleinen Füße schoben sich lautlos in die Pantoffeln neben dem Bett. Mit steifen Bewegungen stand sie auf und setzte sich in Bewegung.
    Lautlos tapste sie über den Teppich zur Kommode. Ihre Hände umfaßten die Knöpfe der zweiten Schublade und zogen sie heraus.
    Eine Hand griff hinein und hob ein sauber gefaltetes Hemd.
    Die andere griff zu und nahm einen 45er- Automatic-Revolver heraus.
    Edwina schloß die Schublade wieder.
    Lautlos machte sie kehrt und ging zu dem Bett vor dem Fenster. Am Fußende blieb sie stehen und blickte mit starren Augen auf ihren schlafenden Mann.
    Langsam hob sie die Waffe.
    Sorgfältig richtete sie den Lauf auf seinen Kopf.
    Al Bowen schlief.
    Sie drückte ab.
    Die Waffe machte klick.
    Sie senkte die Automatic und drehte sich um. Sie ging zur Kommode und zog die zweite Schublade auf. Sie schob das frisch gebügelte Hemd zur Seite und legte die Waffe darunter. Dann schloß sie die Schublade und kehrte zu ihrem Bett zurück. Sie stellte die Pantoffeln darunter und ließ sich unter die Decke gleiten. Sie schloß die Augen und schlief.
    Tief und zufrieden.
    Am nächsten Morgen knallte sich Al die Butter auf den Toast und murrte, als die Menge nicht ausreichte.
    »Tut mir leid«, sagte Edwina und stand auf.
    »Ich glaube, ich habe noch ein Viertelpfund im Eisschrank.«
    »Schon gut, schon gut«, brummte Al. »Dazu hab ich keine Zeit mehr. Was ist denn mit dir?«
    »Mir ist nicht gut«, antwortete Edwina leise. »Ich weiß nicht, was es ist. Dabei bin ich früh zu Bett gegangen, aber mir kommt vor, als hätte ich überhaupt nicht geschlafen …«
    »Wenn du nicht so lange gelesen hättest …«
    »Ich habe um halb zwölf das Licht ausgemacht. Du hast schon geschlafen.« Als er den Stuhl zurückschob und nach seiner Jacke griff, fragte sie: »Al, bist du heute abend zu Hause? Du hast gestern von Albany gesprochen.«
    »Albany ist morgen«, antwortete er barsch. »Warum bedrängst du mich so, Schätzchen? Willst du mich aus dem Haus haben? Wahrscheinlich kommt heute wieder der kleine Bertie zum Unterricht, ja?«
    Sie seufzte und setzte sich wieder. »Fang nicht schon wieder damit an. Natürlich kommt Bertram; er hat noch fünf Stunden. Er macht großartige Fortschritte, Al. Du solltest dir das mal anhören.«
    »Dein Klavierspiel reicht mir. Manchmal bereue ich, daß wir das verdammte Ding gekauft haben.«
    »Sag das nicht. Du weißt doch, das Unterrichtshonorar können wir gut gebrauchen.«
    »Soll das heißen, ich verdiene nicht genug?«
    »Nein, natürlich nicht! In diesem Jahr war deine Provision aber nicht …«
    »Na schön, wir haben Rezession, ist das meine Schuld? Ich stehe noch viel besser da als die meisten anderen Vertreter bei uns. Vielleicht erreiche ich im firmeninternen Wettbewerb sogar den vierten Platz. Wie fändest du das?«
    »Das wäre nett«, meinte Edwina.
    »Wo ist mein Musterkoffer?« fragte Al und entdeckte das gute Stück an der Wand. Er griff danach, setzte sich den Hut auf und wandte sich zu ihr um. »Denk daran. Ich bin heute zur normalen Zeit zurück. Da sollte dein kleiner Bertie aus dem Haus sein, sonst ziehe ich ihm die Ohren lang.«
    »Al!«
    Er schnaubte spöttisch durch die Nase. »Hältst du mich für blind? Ich weiß doch, daß das Jüngelchen ein Auge auf dich geworfen hat, Schätzchen. Am liebsten würde ich ihm mal eine Lektion erteilen, die aber nichts mit dem Klavier zu tun hat.«
    »Er ist doch nur ein Junge – noch nicht mal zwanzig …«
    Halb amüsiert, halb angewidert blickte er sie an. Dann marschierte er aus dem Zimmer, wobei sein Musterkoffer gegen den Türrahmen knallte. Als er fort war, kam ihr das Haus bemerkenswert ruhig und friedlich vor.
    Bertram Mosse hatte einen exquisiten Chopin-Anschlag, und Edwina hörte sich seine Übungen nicht als Lehrerin an, sondern als Zuhörerin. Bei den aggressiveren Passagen

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