Coole Geschichten für clevere Leser
zusammen. Dann zerrte Al den anderen heran und atmete ihm seinen Zorn in das bleiche Gesicht. Die linke Hand wurde zur Peitsche, knallte über die Wange des Jünglings, eine rote Spur hinterlassend.
»Al!« kreischte Edwina. »Tu ihm nichts!«
Ihr Mann schüttelte den jungen Mann, packte den schmalen Körper an einem Arm und wirbelte ihn hin und her. Zuletzt drängte er ihn zur Tür, öffnete sie und schob ihn hinaus. Bertram sperrte sich und versuchte Widerstand zu leisten, die Augen voller Tränen, die Stimme gebrochen vor Protest und Scham. Aber Al war zu stark. Er schleuderte ihn in die Dunkelheit hinaus und knallte die Tür zu.
»Bleib von meinem Haus fern!« brüllte er. »Bleib hier weg, oder ich bringe dich um!«
Dann wandte er sich zu Edwina um.
»Bin zurückgekommen«, sagte er überflüssigerweise. »Der Chef des Ladens war gestorben, da hat man Finlay für den Rest des Tages zugemacht. Aus Respekt. Respekt!«
Er lachte bitter.
»Bitte laß mich erklären, Al.«
»Nicht nötig.«
Er drängte sich an ihr vorbei ins Schlafzimmer.
Edwina setzte sich ans Klavier, ohne Tränen, ohne einen Gedanken an die Situation.
Nach einer Weile wußte sie, daß Al nicht zurückkehren würde. Langsam stand sie auf und ging zur Schlafzimmertür. Sie machte auf und trat ein. Ihr Mann hatte den Schlafanzug angezogen und stieg eben ins Bett.
»Müde«, sagte er mit schwerer Zunge. »Erschöpft …«
»Al, wollen wir nicht darüber sprechen?«
»Morgen.«
Sie zog den Hausmantel aus und ging zu ihrem Bett. Als sie das Licht ausmachte, hörte sie ihren Mann leise lachen.
»Hast du sein Gesicht gesehen? Ich habe ihm einen Mordsschrecken eingejagt.«
»Du verstehst den Jungen nicht, Al. Er will uns nichts Böses. Die Musik liegt ihm am Herzen …«
Al richtete sich auf und starrte sie aus zusammengekniffenen Augen an.
»Ich weiß, was ihm am Herzen liegt«, sagte er. »Und meine Worte vorhin waren ernst gemeint. Wenn sich der kleine Bertie hier noch einmal sehen läßt, puste ich ihm das Gehirn aus dem Kopf!«
»Das glaube ich einfach nicht!«
»O doch!« sagte Al und ließ sich auf das Kissen fallen. »Erinnerst du dich an meine alte Armee-Automatic? Nun, die habe ich eben geladen. Und denk nur nicht, daß ich sie nicht benutze, Edwina. Bilde dir das ja nicht ein!«
Er seufzte zufrieden und drehte das Gesicht zum Kissen. Schon nach fünf Minuten war er eingeschlafen.
Bei Edwina dauerte es etwas länger.
Willkommen in unserer Bank
Sternlein, Sternlein am Himmelszelt, ich wünsche mir das Schönste auf der Welt, gebe, daß die First Central Bank ausgeraubt wird! dachte George Picken und betrachtete den hellen Lichtpunkt, der über Southwick Corners durch die Wolken schimmerte. Es war ein Kinderreim, den er seit Jahren aufsagte, etwa seit dem Tag vor sechs Jahren, da er als stellvertretender Kassierer bei der Bank anfing. Inzwischen war er ein voll ausgebildeter Kassierer mit einem eigenen Messing-Namensschild und einer eigenen Kassenbox. Früher hatte er geglaubt, damit seien alle Wünsche seines Lebens erfüllt, doch er sollte schnell merken, daß das nicht stimmte. Arbeit oder Titel waren gar nicht so wichtig. Viel mehr zählte das Geld, das da frisch und grün und vielversprechend knisternd durch seine Hände wanderte und wenig gemein hatte mit der bescheidenen Zuwendung, die er jede zweite Woche von der First Central erhielt. Manchmal waren seinen geschickten Fingern bis zu fünfzigtausend Dollar anvertraut, fünfzigtausend grünschimmernde Eintrittskarten zu den Freuden und Annehmlichkeiten der weiten, strahlenden Welt außerhalb von Southwick Corners.
George war ein Bothwick-Schüler, was bedeutete, daß er das Geld nicht selbst stehlen konnte. Bothwick-Schüler, die Abgänger dieser beliebten und gepriesenen Schule, bekamen eingetrichtert, daß Diebstahl Unrecht war. Noch nie war ein Bothwick-Schüler wegen Diebstahls verhaftet worden. Die drei, die man – in dieser Reihenfolge – auf dem elektrischen Stuhl hingerichtet, gehenkt und zu lebenslangem Zuchthaus verurteilt hatte, zählten in dieser Statistik nicht. Stehlen tat kein Bothwick-Schüler. Abgesehen davon gab es drei Menschen auf der Welt, die George nicht enttäuschen durfte. Der erste war Mr. Burrows, der Bankpräsident, der ihm den Job verschafft hatte (und selbst Bothwick-Schüler war). Der zweite war Tante Finney, die George mit Ehrlichkeit, brauner Seife und weichgekochtem Essen großgezogen hatte. Die dritte Person war Jennifer, die
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