Coole Geschichten für clevere Leser
einem schimmernden Schädel, auf dem hier und dort blonde Haare sprossen. Lorna saß vor seinem überladenen Schreibtisch und kam sofort zur Sache.
»Ist es nicht zutreffend«, fragte sie, »daß viele Leute annehmen, Wally Birch habe seine Frau umgebracht?«
Daley runzelte die Stirn. »Sie haben einen davon vor sich, Mrs. Powell. Dieser Fall hat mir die größte Enttäuschung meines Lebens eingebracht. Ich weiß, daß er vom Temperament her zu der Tat fähig war, daß er Motiv und Gelegenheit hatte. Ich glaube, er hat sie umgebracht, aber verlangen Sie nicht von mir, den Beweis anzutreten. Sind Sie wegen Wally Birch hier?«
»Ja, wegen Wally Birch – und vielleicht wegen des Beweises, den Sie suchen.«
Daley lächelte ungläubig. »Ernsthaft?«
»Ich habe den Beweis, keine Sorge.« Sie strich ihren Rock glatt. »Aber aus bestimmten Gründen, Sheriff, kann ich Ihnen noch nicht sagen, worum es sich handelt. Eine kleine Weile müssen Sie sich noch gedulden.«
Er sah sie verwirrt an. »Haben Sie etwas in seinem Haus gefunden? Einen Brief? Blutflecke?«
»Das kann ich Ihnen noch nicht sagen.«
»Sie können nicht?« fragte Daley gereizt. »Und was soll ich nun unternehmen, Mrs. Powell?«
»Ihn natürlich einsperren.«
»Soll das ein Witz sein, Mrs. Powell? Ich kann Birch nicht aufgrund eines Beweises ins Gefängnis stecken, den ich gar nicht habe. Wenn Sie wirklich etwas gefunden haben, bestehe ich darauf, daß Sie es mir übergeben!«
»Das geht nicht«, sagte sie entschlossen und dachte an ihre schönen Blumen, die sie so mühevoll für die Blumenschau hochgepäppelt hatte.
»Mrs. Powell, Sie helfen mir wirklich nicht weiter …«
»Na, können Sie ihn nicht wenigstens dafür einsperren, daß er mich bedroht hat? Das hat er nämlich getan. Heute nachmittag erst.«
»Birch hat Sie bedroht? Weshalb denn?«
»Weil ich herumgefragt habe – deshalb. Er sagte mir, ich sollte damit aufhören, sonst würde es Ärger geben. Können Sie ihn nicht dafür ins Gefängnis stecken?«
Daley seufzte. »Es tut mir leid, Mrs. Powell, das genügt nicht. Am besten sagen Sie mir alles, was Sie wissen. Sonst sind mir die Hände gebunden.«
»Aber er könnte mir – etwas antun!«
»Um so wichtiger ist es, daß Sie offen sprechen!«
Lorna stand auf. Eine Sekunde lang war sie unentschlossen, ob sie es ihm sagen sollte oder nicht. Wenn sie jetzt alles erzählte, würde ihr Garten am nächsten Tag unter der Suche nach dem Rest von Mrs. Birch zu leiden haben. Wenn sie nichts sagte – wenigstens bis nach der Blumenschau .
»Tut mir leid, Sheriff. Ich wollte Ihnen keine Rätsel auftischen, aber Sie wissen ja, wie Frauen manchmal sind. Trotzdem vielen Dank.«
Sie verließ das Büro und stieß im Korridor beinahe mit Mr. Pauley zusammen. Der Kaufmann zog den Hut, lächelte ölig und deutete auf eine Tüte mit Lebensmitteln auf der Bank. »Meine übliche Lieferung für die Gefangenen, Madam«, sagte er. »Freut mich, Sie wiederzusehen.«
»Guten Tag, Mr. Pauley«, sagte Lorna steif.
Einsamkeit oder Dunkelheit hatten Lorna noch nie etwas ausgemacht, ihr langes Witwendasein hatte sie an beides gewöhnt. In dieser Nacht aber hielt sich der Gestank von Wally Birchs Tabak im Vorderzimmer und erinnerte sie aromatisch an Gewalt und Gefahr. Sie versuchte den Geruch zu verdrängen, indem sie ein Blech schwarze Walnußkekse buk, eine List, die bis zum Zubettgehen funktionierte. Doch als sie Anstalten machte, die Lichter auszumachen und nach oben zu gehen, wurde an die Haustür gehämmert.
Ihr Herz bildete das Echo zu den lauten Schlägen, als Lorna die Tür öffnete. Diesmal hatte Wally Birch die Pfeife vergessen; nach dem übermächtigen Gestank, der ihn umgab, auf einem Bartresen. Seine Augen waren glasig und blutunterlaufen. Er war betrunken und konnte kaum noch gehen; er torkelte ins Haus, und Lorna stieß einen Angstschrei aus.
»Alte Hexe!« knurrte er. »Du alte Schnüffeltante! Hab ich nicht gesagt, du sollst mich in Ruhe lassen?«
Sie wich in das Zimmer zurück, zu verängstigt, um an seine Vernunft zu appellieren. »Ich habe Ihnen nichts getan – bitte lassen Sie mich in Ruhe …«
»Glauben Sie wirklich, ich lasse Ihnen das durchgehen? Wie?«
»Raus!« befahl sie mit zittriger Stimme. »Verlassen Sie das Haus, Mr. Birch! Ich möchte Sie hier nicht haben!«
»Sie sind zu den Bullen gegangen, ja?« fauchte er. Dann machte er einen Riesenschritt, schwankte und wäre beinahe umgefallen. »Sie haben den Bullen alles über
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