Coole Geschichten für clevere Leser
anderes Bild. Elwells Gesicht versteinte; der Flur umrahmte seine Hals- und Kinnmuskeln, die sich heftig verkrampften. Er trat einen Schritt zurück, eine Bewegung, die Unsicherheit und Verwirrung verriet.
»Bitte, Mr. Elwell.« Der untersetzte Mann hob flehend die Hand. »Ich weiß, wie Ihnen zumute ist, nur ist das alles sehr lange her. Ich hatte diese Woche im Norden zu tun, und als mir aufging, daß ich nur zwanzig Meilen von Ihnen weg war, da mußte ich Sie einfach besuchen.«
Der Mann in der Tür seufzte.
»Na schön«, sagte er leise. »Was wollen Sie?«
»Mich nur mal mit Ihnen unterhalten. Kann ich reinkommen?«
»Meinetwegen.«
Die Männer betraten das Haus und gingen auf das Wohnzimmer zu. Keiner der beiden hatte es eilig; darin glichen sie zwei verfeindeten Schauspielern, die auf derselben Bühne stehen müssen. Lyons wartete nicht, bis Elwell ihm einen Stuhl anbot; er wählte einen Sessel, setzte sich vorn auf die Kante und starrte auf den niedrigen Mahagonitisch, der vor ihm stand. Darauf befand sich ein Messingtablett mit einer Whiskykaraffe und zwei kleinen Gläsern. Elwell blieb stehen. Er ging zum Bücherschrank und schien die Bände zu betrachten. Plötzlich fiel ihm ein, daß er ja gewisse Pflichten hatte, selbst diesem unwillkommenen Gast gegenüber. »Möchten Sie einen Drink?« fragte er.
»Hätte nichts dagegen.«
Lyons füllte sich ein Glas bis zum Rand und trank einen Fingerbreit ab.
»Vielleicht hätte ich Sie vorher anrufen sollen«, sagte er schließlich. »Aber ich hatte Angst, daß Sie nein sagen würden, daß Sie mich vielleicht nicht sehen wollten. Dabei habe ich seit langem den Wunsch, Sie zu besuchen.«
»Ach?«
»Seit drei Jahren, seit meiner Entlassung aus dem Gefängnis. Ich bin nicht eher gekommen, weil ich nach Florida zog, wo mein alter Herr lebte. Meine Mutter starb, als ich noch im Gefängnis war; anschließend hat er sich in Sarasota niedergelassen. Er bekam eine Art Pension von der Stadt, Sie wissen schon.« Er zögerte, und seine nächsten Worte klangen herausfordernd. »Ich bin nicht fortgeblieben, weil ich mich etwa schämte. Nein, das war es nicht. Jetzt bin ich hier, weil ich Sie bitten möchte, sich anzuhören, was ich zu der Sache zu sagen habe …«
»Was Sie … ?« Elwell wandte sich ab.
»Es war ein Unfall, Mr. Elwell. Das wissen alle. Deshalb ist das Strafmaß ja auch so gering ausgefallen, für Totschlag. Es war schließlich nur ein Unfall.«
»Sie waren aber betrunken, nicht wahr?«
Jake Lyons rutschte auf seinem Sitz hin und her. »Ja, ich war betrunken. Das machte ja alles so schlimm. Ich war betrunken, aber das war es nicht allein.«
Elwell drehte ihm wieder den Rücken zu – eine Geste der Ablehnung, die Lyon veranlaßte, sich mit der Zunge über die Lippen zu fahren und schneller zu sprechen.
»Sie müssen mich verstehen, Mr. Elwell. Von Kind auf war ich ziemlich verdreht und ruhelos. Ich hatte immer wieder Pech. Mit acht Jahren rutschte ich in der Schule ein Geländer hinab und stieß dabei einen Mitschüler in die Tiefe; man mußte seine Wunde mit zwanzig Stichen nähen. Mit zwölf schenkte mir mein Vater ein Luftgewehr, und ich schoß einen Botenjungen vom Kaufmann in den Nacken. Nicht weil ich es wollte – verstehen Sie mich nicht falsch; es war keine Absicht. Ich war nicht bösartig, sondern einfach leichtsinnig.«
Elwell wandte den Kopf und musterte ihn mit glasigem Blick.
»Ich weiß nicht, weshalb ich so war. Ich machte mir einfach keine Gedanken über die Dinge, die ich tat. Ich handelte völlig impulsiv. Nach dem Unfall mit dem Gewehr verbot mir mein Vater den Umgang mit gefährlichen Waffen; trotzdem geriet ich immer wieder in die Klemme. Zum Beispiel in der High School.« Die Erinnerung schien ihm Unbehagen zu bereiten. »Eine ziemlich üble Sache. Ich war ein ganz guter Schläger beim Baseball. Einmal schlug ich den Ball fort und warf das Schlagholz hinterher. Das Ding traf den stellvertretenden Direktor an der Schläfe; der Mann lag einen Monat lang auf der Nase. So ist es mir immer wieder gegangen. Das Schlimmste aber war dann der Abend …«
Elwell knurrte tief in der Kehle.
»Ich … ich war bei einer Party und hatte ziemlich getrunken. Mein Freund zeigte mir seine Kriegssouvenirs; er hatte ein deutsches Gewehr und war sehr stolz darauf. Er sagte, das Ding sei nicht geladen. Ich spielte damit herum; es war verdammt lange her, seit ich eine Schußwaffe in der Hand gehabt hatte; Sie wissen, wie das so ist, wenn man
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