Coole Geschichten für clevere Leser
immerhin riß die Parade der Pariser Schönheiten den ganzen Tag nicht ab. Was nun Robins Arbeit betraf, so waren die Ergebnisse offensichtlich. Das Studio war voller Leinwände, von denen kaum eine von Farbe verdorben war.
Als Owen vor seinem Bruder diesen Raum betrat, tat er etwas, das Robin erstaunt die Luft anhalten ließ. Er schleuderte die Krücken zur Seite und marschierte ohne Hilfe zur aufgeschlagenen Liege.
»Dein Fuß!« sagte Robin. »Was ist denn mit der Gicht?«
Owen lachte und streckte sich auf dem Bett aus.
»Die Gicht«, sagte er, »ist der Grundstein meines Plans, alter Knabe. Oh, ich hatte anfangs wirklich Gicht. Bei den ersten Anfällen durchlitt ich die Qualen der Hölle, aber im Grunde brauche ich nur darauf zu achten, was ich esse. Sollte später danach gefragt werden, habe ich jedenfalls eine Krankengeschichte vorzuweisen.«
Verwirrt ließ sich Robin in einen Korbstuhl sinken.
»So habe ich dich ja noch nie erlebt, Owen! Für meine Begriffe quatschst du Unsinn. Die Krücken, der Bart, das wirre Gerede, daß du jemanden umbringen willst …«
»Das ist kein wirres Gerede, sondern ein ausgesprochen kluger Plan, ein Plan, an dessen Verwirklichung dir sehr liegen wird. Das heißt, wenn dir dein jetziger Lebensstil Freude macht.«
»Ob er mir Freude macht? Natürlich!«
»Wäre doch schade, das alles zu verlieren, nicht wahr? All diese Liebe zur – Kunst! Und all die hübschen Frauen von Paris!«
»Ist zwischen dir und Harriet etwas vorgefallen?«
Owen zündete sich eine Zigarette an.
»Nichts Überraschendes«, sagte er. »Jedenfalls kein plötzlicher Zusammenstoß. Es hat sich aber allmählich entwickelt, wahrscheinlich die unvermeidliche Folge der fortschreitenden Jahre. Du weißt, daß ich bei unserer Heirat um etliches jünger war als Harriet. Nach zehn Jahren ist dieser Unterschied plötzlich nicht mehr so groß. Harriet hat gemerkt, daß es auf der Welt noch jüngere Männer gibt als mich.«
Robin stieß einen Fluch aus und ging zum Fenster.
»Willst du mir den Hahn zudrehen? Bist du gekommen, um mir das zu sagen?«
»Nichts dergleichen«, antwortete Owen. »Solange mein Einkommen ausreicht, kannst du dein Talent ruhig weiterentwickeln. Die Frage ist nur, wie lange ich mein Einkommen noch habe.«
»Und deshalb willst du sie umbringen.«
»Das gedenke ich aber sehr vorsichtig anzustellen, alter Knabe, im vollen Bewußtsein der Gefahren, die darin liegen. Ich hätte mich vielleicht nie mit dem Gedanken befaßt, wäre mir nicht ein toller Plan eingefallen. Du siehst, ein Gichtanfall hat auch seine guten Seiten. Einen ganzen Monat lag ich auf meinem Schmerzlager, während sich Harriet anderweitigen Vergnügungen hingab – ihr derzeitiges Hobby sind Tanzstunden. Du verstehst nichts vom Tanz, bis du die Frau nicht bei einer verrückten Übung gesehen hast, die man Twist nennt. In diesem ruhigen Monat hatte ich aber auch Zeit zum Nachdenken. Und da ist mir etwas Großartiges eingefallen.«
»Was?«
»Ein unvergleichliches Phänomen unserer modernen Zeit«, lächelte Owen. »Das großartige Paradoxon des transatlantischen Verkehrs!«
»Verkehr?«
»Aber ja. Du kennst mich ja, Robin. Ich bin ein großer Freund von Schiffsreisen. Eine Ozeanreise ist für mich ein Beruhigungsmittel, Medizin gegen jede Krankheit. Ein Schiff braucht über den Atlantik fünf Tage; ein Düsenflugzeug schafft die Strecke in wenigen Stunden.«
»Aber du haßt doch Flugzeuge! Du bist in deinem ganzen Leben noch nicht geflogen!«
»Flugzeuge bringen mich in Panik. Ich habe nie versucht, diese Tatsache zu verleugnen. Doch was das Tempo angeht, sind sie unschlagbar, das mußt du zugeben.«
»Ich verstehe noch immer nicht, worauf du hinauswillst. Was hat das mit dem Mord an Harriet zu tun?«
»Alles«, sagte Owen Layton. »Denn wir beide, lieber Bruder, werden dieses transatlantische Paradoxon zu nutzen wissen. Wir werden beweisen, daß der Unterschied zwischen einem Schiff und einem Flugzeug eine herrliche Mordmethode ist.«
Die S. S. Empire, Flaggschiff der British Line, war zwar nicht der größte Dampfer, der in Le Havre vor Anker lag, doch Sonnabend früh war er der geschäftigste. In dem wirren Durcheinander, das der Abfahrt nach New York vorausging, kamen die beiden bärtigen Männer nur langsam voran. Einer der beiden ächzte bei jeder Bewegung seiner Krücken und wurde von dem anderen gestützt; so schritten sie langsam durch die plappernde, feierlich gestimmte Menge der Passagiere, Besucher
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