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Coole Geschichten für clevere Leser

Coole Geschichten für clevere Leser

Titel: Coole Geschichten für clevere Leser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Slesar
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nach Hause.«
    Beggs blickte auf die andere Seite des Tisches. Dort saß niemand. Er streckte die Hand nach seinem Koffer aus, griff aber ins Leere. »Mein Koffer«, sagte er leise.
    »Ihr was?«
    »Koffer. Vielleicht habe ich ihn an der Bar stehenlassen …« Er stand auf, taumelte auf die Barhocker zu und begann sie herumzuschieben. »Muß hier irgendwo sein«, murmelte er. »Haben Sie ihn nicht gesehen?«
    »Hören Sie, Kumpel …«
    »Mein Koffer«, sagte Beggs betont und blickte den Mann an. »Ich will meinen Koffer haben, verstehen Sie?«
    »Ich habe keinen Koffer gesehen. Wollen Sie mich etwa beschuldigen .. ?«
    »Das Mädchen, das mit mir zusammen war. Das hier arbeitet.«
    »Mann, hier arbeiten keine Mädchen. Sie machen sich eine falsche Vorstellung von meinem Lokal.«
    Beggs legte dem anderen eine Hand auf den Jackettaufschlag, doch keineswegs aggressiv. »Bitte machen Sie sich nicht über mich lustig«, sagte er und lächelte sogar. »Ich bin ein alter Mann. Sie sehen doch mein weißes Haar. Was haben Sie mit dem Koffer gemacht? Wo ist das Mädchen?«
    »Mister, ich sag’s Ihnen ein letztesmal.« Der Barmixer zerrte seine Hand zur Seite. »Ich habe Ihren verdammten Koffer nicht gesehen. Und ein Mädchen arbeitet hier auch nicht. Wenn Sie sich haben ausnehmen lassen, ist das allein Ihre Sache.«
    »Sie lügen!«.
    Beggs stürzte sich auf den Mann, doch nicht um ihn anzugreifen; vielmehr waren seine Arme flehend ausgebreitet. Wieder schrie er den Barmixer an, der sich aber verächtlich abwandte. Er folgte ihm, und der Mann machte kehrt und äußerte böse Worte. Daraufhin begann Beggs zu schluchzen, und der Barmixer seufzte resigniert und sagte: »Ach, jetzt reicht’s mir aber!« Er packte Beggs am Arm und begann ihn zur Tür zu drängen. Unterwegs zerrte er seinen Mantel vom Haken und warf ihn dem alten Mann über die Schulter. Beggs protestierte zwar, ging aber weiter. An der Tür gab ihm der Barmixer einen letzten Schubs, der ihn auf die Straße hinausbeförderte. Dann knallte die Tür zu, und Beggs hämmerte mit der Faust dagegen, aber nur einmal.
    Er stand auf dem Bürgersteig und zog seinen Mantel an. In der Tasche befanden sich noch einige Zigaretten, zerdrückt und nutzlos. Er warf die zerkrümelte Packung in die Gosse.
    Dann setzte er sich in Bewegung.
    An der Treppe erinnerte er sich noch – drei Stockwerke mußte er ersteigen. Als junger Mann, frisch verheiratet, in der Vorfreude auf Edith, die ihn oben erwartete, war der Aufstieg ein Kinderspiel gewesen. Etwas schwieriger wurde es schon, wenn er nach einem arbeitslos vertrödelten Tag bei Mike ordentlich getankt hatte. Heute aber kam ihm die Treppe endlos vor, ein hölzerner Mount Everest. Er war außer Atem, als er endlich vor der Wohnungstür stand.
    Er klopfte an, und nach einiger Zeit öffnete ihm eine Frau, die Ediths Mutter hätte sein können – aber es war Edith selbst. Sie starrte ihn an und schob sich dabei gelbgraue Haarsträhnen aus dem Gesicht, während die andere knochige Hand an einem herabhängenden Knopf ihres fleckigen Hauskleids herumfummelte. Da er nicht recht wußte, ob sie ihn erkannte, sagte er: »Ich bin’s Edith – Harry.«
    »Harry?«
    »Ich weiß, es ist schon ziemlich spät«, sagte er leise. »Tut mir leid. Man hat mich heute entlassen. Kann ich mal reinkommen?«
    »Mein Gott!« sagte Edith und legte die Hände vor die Augen. In den nächsten dreißig Sekunden bewegte sie sich kaum. Er wußte nicht, ob er sie berühren sollte oder nicht. Er trat von einem Fuß auf den anderen und fuhr sich mit der Zunge über die trockenen Lippen.
    »Schrecklich durstig bin ich«, sagte er. »Kannst du nur ein Glas Wasser geben?«
    Sie ließ ihn eintreten. Das Zimmer war dunkel, und seine Frau schaltete eine Tischlampe ein. Sie ging in die Küche und holte das Wasser. Sie reichte ihm das Glas, und er setzte sich, ehe er trank.
    Als er ihr das leere Glas zurückgab, lächelte er scheu. »Vielen Dank«, sagte er. »Ich war verdammt durstig.«
    »Was willst du, Harry?«
    »Nichts«, sagte er leise. »Nur ein Glas Wasser. Mehr kann ich ja nicht von dir erwarten, oder?«
    Sie wandte sich ab und fummelte an ihrem Haar herum. »Mein Gott, ich sehe ja schrecklich aus! Warum hast du mir nicht Bescheid gesagt?«
    »Tut mir leid, Edith«, sagte er. »Ich gehe jetzt lieber wieder.«
    »Wohin denn?«
    »Keine Ahnung«, sagte Beggs. »Ich habe noch nicht darüber nachgedacht.«
    »Du hast keine Unterkunft?«
    »Nein.«
    Sie brachte das

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