Coole Geschichten für clevere Leser
der junge Angeklagte, der trotz der breitschultrigen, doppelreihigen Mode der dreißiger Jahre recht anziehend wirkte, die verstörten Augen mit der Hand.
»Gerechtigkeit?« fragte der Schauspieler in die Kamera. »Absolute und unparteiische Gerechtigkeit?«
Das Murmeln in den Zuschauerreihen nahm zu, die Erkenntnis dessen, was da zu sehen und zu hören war, die schreckliche Bedeutung der Vorführung.
»… aber wenn Sie nie gesündigt haben, nicht einmal außerhalb des gesetzlichen Wirkungsbereiches, dann sind meine Worte nicht für Sie bestimmt. Wenn Sie schuldlos sind, wenn Sie nie einen Fehler begangen, nie jemanden ungerecht behandelt oder gekränkt oder ihm leiblichen Schaden zugefügt haben …«
»Aufhören!« sagte Miles zu Rutherford. »Um Himmels willen, Ed. Das muß aufhören!«
»Euer Ehren!« rief Rutherford. »Euer Ehren, bitte …«
»… mit einem Lidschlag, in einem verwirrten Augenblick seines Lebens«, sagte Miles Crawford auf der Leinwand, »wenn er damit das Recht zu leben aufgab, zu atmen, zu bedauern, s ich zu ändern, vergangene und jetzige Sünden wiedergutzumachen …«
»Halt!« schrie Miles.
Hanley sagte etwas zu seinem Assistenten; jemand eilte zu den Lichtschaltern im hinteren Teil des Gerichtssaals, und eine Hand bewegte den Knopf, der das Licht auf der Leinwand ersterben und das Bild zu einem kahlen, niemanden belastenden Weiß verblassen ließ.
Hanley kehrte an seinen Platz zurück. Er hatte ein feierliches Gesicht aufgesetzt.
»Euer Ehren, ich sehe keinen Grund, den Film weiter vorzuführen, und gehe gern auf die Bitte der Verteidigung ein.« Er wandte sich an Miles. Dabei wirkte er nicht triumphierend, sah aber auch nicht beschämt aus. »Ich bin seit langem ein begeisterter Fan von Mr. Crawford. An seiner hübschen Rede vor den Geschworenen kam mir gleich etwas bekannt vor. Zum Glück konnte ich mich erinnern, wo ich die Worte schon einmal gehört hatte. Ich habe den Film nicht vorgeführt, um Mr. Crawford in Verlegenheit zu bringen, sondern um meine Worte von vorhin zu unterstreichen – mir liegt daran, daß das Ergebnis dieses Prozesses auf Tatsachen beruht und nicht auf der emotionellen Wirkung eines – sehr guten Schauspielers.«
Er kehrte zu seinem Sitz zurück.
Miles stand noch immer am Tisch und wirkte hilflos, als sich die Gesichter in seine Richtung wandten und wortlose Fragen stellten, auf die er keine Antwort wußte.
»Euer Ehren«, sagte er heiser. »Euer Ehren, es trifft zu. Die Rede stammt nicht von mir. Sie wurde vor vielen Jahren für mich geschrieben. Ich habe sie hier vorgetragen, weil sie mir damals wie heute sehr vernünftig erschien. Ich benutzte diese Worte, die zum Ausdruck bringen, worauf es mir ankam …«
Stille antwortete ihm. Er sah Teds Gesicht, das wieder leer, ausdruckslos, gleichgültig und resigniert wirkte. In den letzten Minuten hatte er die Rolle als Verteidiger seines Sohnes verloren; er war wieder der Schauspieler, der große Star, den Ted verachtete.
»Ich habe dich getäuscht«, sagte Miles. »Ich bin schuld daran, daß du dir töricht vorkommst – und habe mich dabei selbst noch mehr zum Narren gemacht. Dies alles gebe ich offen zu, ich muß die Schuld dafür auf mich nehmen. Aber lassen Sie meinen Sohn Ted nicht dafür leiden. Strafen Sie ihn nicht, wo ich derjenige bin, der bestraft werden müßte …«
Er kehrte zur Geschworenenbank zurück und stellte sich den kalten, gleichgültigen Blicken, die er zu sehen befürchtet hatte. Er machte einen Schritt auf seinen Stuhl zu.
Und blieb stehen.
»Einen Moment!« Er deutete auf den Mann, der in der Mitte des Saales den Projektor abbaute. »Euer Ehren, wenn ich etwas sagen dürfte …«
»Bitte sehr, Mr. Crawford. Niemand hindert Sie daran.«
Er näherte sich der Richterbank. »Euer Ehren, im Namen der Fairness …«
Der Richter erstarrte.
»Da Sie die Güte hatten, der Anklage die Vorführung dieses Films zu gestatten, wären Sie da auch einverstanden, den Film ganz zu zeigen? Würden Sie das bitte zulassen?«
»Ich verstehe nicht ganz, was das für einen Sinn haben soll, Mr. Crawford?«
»Euer Ehren, nach der Gerichtsverhandlung kommt nur noch eine Szene. Eine letzte Szene. Darf ich sie vorführen lassen?«
Hanley knurrte etwas vor sich hin und machte Anstalten, beim Abbau der Leinwand zu helfen. »Euer Ehren, es war nicht meine Absicht, diesen Gerichtssaal in ein Kino umzufunktionieren. Ich wollte nur zeigen …«
»Bitte!« sagte Miles. »Es wäre nur fair!
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