Coole Geschichten für clevere Leser
unter dem Arm und hatte die Lippen zusammengepreßt. Gleich darauf blieb er stehen und kam einige Schritte zurück, und seine Lippen verzogen sich zu einem Glückwunschlächeln.
»Guter Vortrag«, sagte er zu Miles. »Sie sind ein talentierter Mann, Mr. Crawford. Dieser Meinung war ich schon immer.«
»Vielen Dank«, erwiderte Miles.
»Ja. Ich bin seit langem ein Fan von Ihnen«, fuhr Hanley fort und seine Augen glitzerten seltsam. »Sie werden das bitte nicht vergessen, auch morgen nicht?«
Dann lachte er trocken und ging davon. Rutherford blickte ihm besorgt nach.
»Was ist? Was bekümmert Sie?« fragte Miles.
»Ich weiß nicht. Aber ich kenne Hanley. Meiner Meinung nach war das eben eine Drohung.«
Am nächsten Tag sah der Tisch des Staatsanwalts irgendwie anders aus; Miles setzte sich neben Rutherford und betrachtete neugierig das seltsame Durcheinander von Gegenständen und erkannte mit einem Schock den Zweck der Apparatur.
Hanley war aufgesprungen und richtete das Wort an den Richter.
»Euer Ehren, ehe ich vor den Geschworenen meine Schlußansprache halte, möchte ich eine einigermaßen ungewöhnliche Bitte aussprechen. Ich äußere sie in der ernsthaften Überzeugung, daß dieser Fall wie jeder andere nach den Tatsachen beurteilt werden muß und nicht nach den Gefühlsdarstellungen der Beteiligten.«
Der Richter verzog den Mund. »Davon sind wir doch wohl alle überzeugt, Herr Staatsanwalt. Bitte bringen Sie Ihre Anliegen vor.«
Hanley holte tief Atem.
»Euer Ehren, ich möchte Ihre Erlaubnis erbitten, dem Gericht ein Stück aus einem Spielfilm vorzuführen.«
Rutherford blickte Miles besorgt an; Miles starrte auf die tragbare Leinwand und den Projektor.
»Werden dadurch neue Beweise vorgelegt, Mr. Hanley?«
»Nein, Euer Ehren. Es handelt sich um die letzte Rolle eines Spielfilms mit dem Titel Der Schuldige, der 1931 von den Allied American Studios produziert wurde. Ich hatte Glück und machte in einem Lagerhaus in Long Island
City diese Kopie ausfindig. Es handelt sich leider um einen Film, der nur zur sogenannten ›B‹-Qualität zählt; er kam als Zweitfilm in einem Doppelprogramm zur Aufführung und verschwand sehr schnell wieder in der Versenkung. Ich glaube aber, daß dieser Film einen Bezug hat, wenn schon nicht auf den Fall Ted Crawford, so doch auf die Art und Weise, wie er verteidigt wurde.« Hanley trat vor und senkte die Stimme. »Offen gesagt, Euer Ehren, könnte der Inhalt dieses Films Zweifel über die Qualität dieses Prozesses wecken, und ich finde, es ist im Interesse aller, daß der Film gezeigt wird. Darf ich vortreten?«
Der Richter nickte.
Hanley näherte sich der Richterbank und führte mit dem Mann in der schwarzen Robe ein kurzes Gespräch. Der Richter schien verblüfft zu sein; schließlich beendete er die Unterhaltung, indem er die Vorführung erlaubte.
Rutherford beobachtete Miles. Der alte Mann saß zusammengesunken auf seinem Stuhl, sein Blick war glasig, er schien mit den Gedanken nicht mehr bei der Sache zu sein. Der Anwalt stellte ihm flüsternd einige Fragen, doch Miles antwortete nicht.
Ein Beamter der Staatsanwaltschaft baute zusammen mit dem Gerichtsdiener die Leinwand vor dem Tisch des Richters auf; der Projektor wurde in der Mitte des Ganges auf einen kleinen Tisch gestellt. Die Zuschauer tuschelten erregt; das weiße Rechteck der Leinwand wurde zum Fragezeichen. Nur Miles zeigte kein Interesse, sein Blick richtete sich ins Leere.
»Wir sind fertig«, sagte der Assistent des Staatsanwalts. Der Gerichtsdiener schaltete die Beleuchtung aus.
Und auf der Leinwand erschien ein anderer Gerichtssaal.
Eine Schauspieler-Jury saß auf der Geschworenenbank. Ein grauhaariger Profi spielte ernst und würdevoll den Richter. Und vor der falschen Jury erschien der jugendlich-schlanke dunkelhaarige Miles Crawford. Alter: dreißig. Beruf: Star.
Es gab einige Schwierigkeiten mit dem Ton, dann aber waren die Worte deutlich aus dem Lautsprecher des Projektors zu hören und füllten den echten und den Atelier-Gerichtssaal mit der vollen, emotionsgeladenen Stimme des Schauspielers.
»Ein junger Mensch ist tot!« sagte der Filmanwalt. »Ein junger Mensch ist tot, und die Männer, die sich der Gerechtigkeit angenommen haben, fordern ihre Rache. Sie sehen sie hier vor sich, wie sie ein Leben für das andere fordern, und das alles im Namen jener Statue mit der Augenbinde, die vor diesem Gerichtsgebäude steht …«
Rutherford packte Miles am Arm. Auf der Leinwand bedeckte
Weitere Kostenlose Bücher