Coole Geschichten für clevere Leser
benutzte, stand unter Verdacht. Wer kam sonst in Frage? überlegte Keller grinsend. Wer kam außer Lampi in Frage?
Er empfand Stolz, weil er Lampi kannte. Ab und zu nickte ihm der Mann zu. Er aß Lampis Mahlzeiten und brachte bei Lampis Kellnern Wetten unter. Carl Keller, der Schlipse verkaufte für einen Dollar das Stück – Carl Keller war stolz auf diese Bekanntschaft.
Kellner Phil stützte sich mit einer Hand auf den Tisch und fragte: »Wie geht es Ihnen, Mr. Keller? Laufen die Wetten gut?«
»In letzter Zeit nicht so«, antwortete Keller lächelnd.
»Wie man hört, steckt Ihr Boss im Bau.«
»Wer, Lampi?« Phil verdrehte wissend die Augen. »Sie müssen nicht alles glauben, was in der Zeitung steht, Mr. Keller. Man hat gegen Joe nichts in der Hand; der ist morgen wieder hier.«
»Sie meinen, die Polizei kann ihn nicht festhalten? Hier steht aber …«
»Nichts da«, sagte Phil. »Er hat heute früh angerufen und gesagt, er wäre morgen zurück.«
»Ich verstehe.« Vorsichtig zerkleinerte Keller sein Kalbfleisch. »Und was ist mit Gary? In der Zeitung steht, Garys Freunde wären der Meinung, Lampi hätte es getan, und wollten Rache nehmen. Was meinen Sie?«
»Ich bediene hier nur, Mr. Keller. Ich stelle keine Mutmaßungen an.«
»Dieser Frank Rufer – Garys Kumpel. Meinen Sie nicht, daß er Ärger machen will? Ich würde hier ungern mit einem Tablett rumstehen, wenn er zu ballern anfängt.«
Phil zog ein unbehagliches Gesicht und ließ sich vom Blick eines anderen Gastes ablenken. »Entschuldigen Sie mich, Mr. Keller. Sie wollten heute nichts anlegen, oder?«
»Nein«, sagte Carl Keller und faltete die Zeitung zusammen. »Heute nicht. Aber wenn Ihr Boss zurückkommt, vielleicht machen wir dann ein paar große Geschäfte.«
Er verließ das Restaurant, nachdem er ein zu großes Trinkgeld auf dem Tischtuch ausgebreitet hatte. Er kam sich spendierfreudig vor; das Geld, mit dem er plante, befand sich zwar noch nicht in seiner Tasche, aber er fühlte sich reich. Er war ein hagerer, unscheinbarer Mann mit hellen Augen und vorstehendem Adamsapfel, den er mit einem breiten Kragen zu verdecken suchte. In diesem Augenblick jedoch, da er Lampis Restaurant verließ, die Straße überquerte und die Tür zum Krawattenladen öffnete, wirkte er ganz und gar nicht unscheinbar.
Als die Glocke bimmelte, hob Freddy den Kopf, runzelte beim Anblick seines Chefs die Stirn und setzte seine Eintragungen im Bestellbuch fort. Keller trug wieder mal sein hartes Gesicht zur Schau, und Freddy wußte ganz genau, daß es in solchen Momenten keinen Sinn hatte, Konversation zu machen.
Keller blieb am Tresen stehen. »Hören Sie mal«, sagte er aus dem Mundwinkel. »Wegen der Lieferung heute nachmittag. Sie machen das für mich, ja? Ich habe was zu erledigen.«
»Jawohl, Sir«, sagte Freddy.
»Wenn mich jemand sprechen will – also, ich bin nicht da.«
Niemand wollte je mit Keller sprechen; er war nichts weiter als ein Krawattenhändler, unverheiratet und ohne Freunde. Trotzdem sagte Freddie: »Aber klar, Mr. Keller.«
»Muß einen Mann besuchen«, gab Keller Auskunft und stellte sich vor den Wandspiegel, um unter dem wulstigen Kragen die Krawatte zurechtzurücken. »Gegen vier Uhr bin ich zurück.«
An der Ecke zur Neunundsechzigsten Straße wartete er auf ein Taxi und nannte dem Fahrer mit energischer Stimme sein Ziel. Dann zündete er sich eine Zigarette an, lehnte sich im Sitz zurück und starrte mit zusammengekniffenen Augen durch den Rauch. Von Minute zu Minute fühlte er sich besser, wie ein schwerer Junge. Ein gutes Gefühl, fand Keller.
Er rechnete damit, daß sich vor dem kleinen Turnklub, der Rufer gehörte, eine Menschenmenge drängte (Reporter? Bullen?), aber die Straße war menschenleer, und der Fahrer bremste vor dem Eingang, als hätte er keine Ahnung, daß er seinen Passagier von einem notorischen Verbrechernest absetzte. Keller war enttäuscht, warf dem Fahrer aber trotzdem einen Geldschein in den Schoß und knurrte: »Für Sie.«
Er steckte die Hände in die Manteltaschen und marschierte in den Sportklub, ohne auf die Männer in T-Shirts zu achten, die im Ring mit großen Handschuhen aufeinander eindroschen. Ein dicker Mann im Rollkragenpullover musterte ihn von oben bis unten.
»Ja?« fragte er.
»Mr. Rufer. Ich habe eine Verabredung.«
»Er will heute niemand sehen.«
»Klar – aber ich bin mit ihm verabredet. Keller, Carl Keller. Sagen Sie Mr. Rufer, daß ich da bin.«
Der Mann im Pullover zuckte
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