Coole Geschichten für clevere Leser
Zeigen Sie den Film zu Ende. Sie sollen sehen, was geschieht. Mit ihm, dem Jungen im Film. Ich bitte Sie!«
Der Richter war gehalten, die Parteien gleich zu behandeln; unentschlossen rieb er sich über die Lippen. Schließlich seufzte er.
»Na schön. Da ich auf die erste Bitte eingegangen bin, ist es nur recht und billig, daß ich auch Ihrem Wunsch nachkomme. Mr. Hanley. Sie unterweisen bitte Ihren Assistenten, die Filmrolle bis zum Schluß zu zeigen.«
»Aber Euer Ehren …«
»Bitte, Mr. Hanley.«
Der Staatsanwalt zuckte die Achseln und forderte den Beamten mit nachlässiger Gebärde auf, die Anlage wieder zu installieren. Der Projektor wurde vorbereitet. Miles legte persönlich die Filmrolle ein und behielt dabei den Finger auf dem Knopf, der den Ton von der Tonspur lieferte. Die Lampen wurden ausgeschaltet, und er bediente den Hebel, der das Bild auf die Leinwand warf.
Die Gerichtsszene ging ihrem Ende zu. Die Jury kehrte von der Beratung zurück, und der Sprecher stand auf, um dem Gericht das Ergebnis mitzuteilen.
»Wir, die Jury, befinden den Angeklagten für schuldig im Sinne der Anklage …«
Das Bild blendete über.
Die Todeszelle.
Auf dem schmalen Bettgestell saß der Junge. Er hatte den Kopf in die Hände gestützt und erwartete die Schrecknisse seiner letzten Stunde.
Die Zellentür ging auf, und der Gefängnisgeistliche trat ein. Sein Gesicht war feierlich; er wollte trösten und keine Hoffnung bringen. Er legte dem Jungen die Hand auf die Schulter, und der Verurteilte weinte. Der Geistliche öffnete die Bibel, die er in der Hand hielt, und las die Worte vor, die den Jungen in die Ewigkeit begleiten sollten.
Der Gefängnisdirektor trat ein, flankiert von zwei Wächtern. Eine Begnadigung war nicht ausgesprochen worden. Die Hinrichtung sollte um elf Uhr stattfinden. Bis dahin waren es noch zehn Minuten.
Der junge Mann stand auf. Er hob flehend die Arme. Er schluchzte und gelobte Besserung und flehte im Namen seiner toten Mutter um Gnade. Der Gefängnisdirektor war gerührt, konnte aber nichts machen. Sanft schob er die Arme des anderen zur Seite und wandte sich an die Wächter.
Es war Zeit, den Verurteilten vorzubereiten. Ihm wurden die Schuhe abgenommen und durch Pantoffeln ersetzt. Man schlitzte ihm die Hosenbeine auf. Er wurde an den Armen gepackt und abgeführt. Willenlos hing er zwischen den Wächtern.
Dann begann der Marsch. Begleitet vom feierlichen Murmeln des Geistlichen und vom Schluchzen des Verurteilten, der um das Recht flehte, noch einen Tag, eine Stunde, eine Sekunde länger zu leben, setzte sich die Prozession in Bewegung.
Sie erreichte die kleine Tür am Ende des Korridors und verschwand dahinter. Als die Tür zufiel, verblaßte das Bild, und es erschien das Wort ENDE.
Die Lichter gingen an, und in dem plötzlichen Vakuum an Geräuschen und Bewegung musterte Ed Rutherford die Gesichter der Jury, um das noch nicht gesprochene Urteil vorwegzunehmen.
Die Entscheidung fiel nach kaum einer Stunde Beratung. Sie schickte Ted Crawford wegen Totschlag auf eine Zeit von nicht mehr als zwanzig Jahren ins Gefängnis. Miles Crawford begrüßte das Urteil mit Tränen in den Augen, die er aber heimlich abwischte, als er seinen Sohn lange und liebevoll in die Arme nahm.
Job für einen Amateur
Mit der Zeitung unter dem Arm betrat er Lampis Restaurant, blinzelte Kellner Phil zu und schob sich in die Nische, in der er jeden Tag aß. Sein Geschäft, Carl Kellers Krawattenladen, befand sich auf der anderen Straßenseite – Lampi lag also sehr günstig. Heute aber ließ Kellers Gesicht erkennen, daß er nicht nur zum Essen gekommen war.
Er bestellte Kalbsbraten und öffnete seine Zeitung. Er hörte auch nicht zu lesen auf, als das Essen serviert wurde, und murmelte statt dessen: »Großartig!«, womit er nicht das Fleisch meinte. Gemeint war vielmehr der Bericht mit der Schlagzeile: Gary-Mord: Joe Lampi verdächtig …
Es bereitete ihm besondere Freude, die Geschichte hier zu lesen, in dem Restaurant, das Lampis Namen trug. Die Tatsachen lagen simpel und klassisch und hätten geradewegs aus den vergilbten Seiten einer Zeitung von 1930 kommen können. Eine Rückkehr zu altmodischen Bandenmethoden, die Keller ein nostalgisches Lachen entlockte. Ein Mord in der Telefonzelle eines Drugstore, ein feindli cher Bandenführer, von Kugeln zerrissen und in seinem eigenen Blut zu Boden rutschend. Und Joe Lampi, ein schweigsamer kleiner Mann, der gute Kleidung liebte und schlechte Haarpomade
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