Coolman und ich. Rette sich, wer kann. (German Edition)
die doppelte Menge Kartoffeln oben in der Burg abgeben. Deswegen nehme ich ihnen ihre übertriebene Begeisterung auch gar nicht übel. Bei Lena ist das etwas anderes: Es ist mir ein Rätsel, warum sie den Glückstreffer des kleinen Lords so begeistert beklatscht.
COOLMANs Tipp ist gar nicht übel, leider kommt er zu spät.
»Bitte sehr, du bist dran.« Der kleine Lord reicht mir grinsend einen Pfeil.
Ich blicke kurz zu Lena rüber, aber die sieht nicht so aus, als ob sie mir die Daumen drücken würde.
Im Gegenteil: Sie himmelt immer noch Charles an und wiederholt die ganze Zeit, was für ein »unglaublicher Schuss« das gewesen sei, »einfach wirklich unglaublich«.
Ich werde ihr etwas wirklich Unglaubliches zeigen. Ich werde Charles’ Pfeil mit meinem Pfeil in der Mitte spalten und ihn in kleine Stücke zersägen, auf die ich dann gern auch Autogramme gebe. Danach werde ich seine Leibeigenen aus ihrer grausamen Knechtschaft befreien. Wir werden uns in den Wäldern verstecken und von dort aus gegen den Unterdrücker kämpfen. Ich werde ihr Anführer sein. Ab sofort sei mein Name Kai-Wood, der furchtlose Rächer der Entrechteten!
Nur mit größter Mühe gelingt es mir, den Bogen zu spannen. Ans Zielen ist überhaupt nicht zu denken. Ich zittere vor Anstrengung, und das überträgt sich auf den Pfeil. Ich schließe die Augen und lasse einfach los.
Der Pfeil flattert durch die Luft wie eine betrunkene Taube. Er segelt weit, weit an der Zielscheibe vorbei und landet in dem Wäldchen dahinter.
Niemand wirft seinen Hut in die Luft und es jubelt auch keiner. Es ist ganz still, abgesehen von einem leisen Fiepsen in der Ferne, gefolgt von einem kurzen Rascheln, als wenn im Wald etwas zu Boden gefallen wäre.
Hamlet spitzt die Ohren und hält seine feuchte schwarze Nase in die Luft. Für einen Moment sitzt er da wie versteinert. Dann rast er los, quer über die Wiese, vorbei an der Zielscheibe und rein in den Wald. Man hört ihn einmal kurz bellen, dann ist er auch schon wieder zurück.
Zwischen seinen Zähnen trägt er einen leblosen Vogel. Ein Pfeil hat das Tier ziemlich genau in der Mitte durchbohrt, und ich befürchte, das war mein Pfeil.
Hamlet legt dem kleinen Lord den Vogel direkt vor die Füße.
»Eine Großtrappe«, erklärt der eingebildete Snob, als wenn ich das nicht selbst sofort erkannt hätte. »Die sind extrem selten. Eigentlich fast ausgestorben. Ich hätte nicht gedacht, dass es hier überhaupt noch eine gibt. Nun, jetzt gibt es ja auch keine mehr.«
»Der arme Vogel«, seufzt Lena und streicht der Großtrappe sanft über die Federn.
Bei dem Picknick gestern haben ihr die Fasane auch nicht leidgetan, denke ich, sage es aber lieber nicht.
»Ich werde ihn ausstopfen lassen«, sagt der kleine Lord nach einer Weile und sieht dabei streng zu mir herüber. »Dann ist er wenigstens nicht ganz umsonst gestorben.«
»Das war keine Absicht. So gut kann ich doch gar nicht schießen. Hätte ich auf die Großtrappe gezielt, hätte ich bestimmt die Scheibe getroffen«, versuche ich mich zu verteidigen.
Aber niemand hört mir zu. Der Butler hebt den Vogel auf und trägt ihn in die Burg. Lena, Charles und Hamlet folgen ihm. Es sieht aus wie ein Trauerzug.
Kurz darauf hat sich die Menge zerstreut und ich bleibe mit meinem schlechten Gewissen und COOLMAN allein zurück.
»Alter! Was ist los?«
»Echt! Was guckst du so uncool?«
Alex und Justin kommen auf mich zu. Sie tragen karierte Röcke und sehen darin ... ziemlich seltsam aus.
»Was habt ihr denn da an?«, frage ich, weil ich keine Lust habe, den beiden von meinem Jagdunglück zu erzählen.
»Das sind echte Schottenröcke, Alter«, klärt Alex mich auf. »Die gibt es da vorne an einem Stand.«
»Die sind echt superpraktisch«, ergänzt Justin. »Da muss man beim Pinkeln keinen Reißverschluss mehr aufmachen. Da ist man ja manchmal echt zu spät dran und dann ...«
»Wisst ihr, wann das Rennen beginnt?«, unterbreche ich ihn, weil ich gar nicht genau wissen will, wie Justin aufs Klo geht.
»Ist echt nicht mehr lange. In zehn Minuten geht's los!«
»Du, Lena, Justin und ich sind in einem Boot, Alter. Haben wir alles schon gecheckt.«
Als wir am Wassergraben ankommen, wartet Lena schon auf uns. Sie sieht nicht sehr glücklich aus, dass wir zusammen in einem Boot sitzen. Aber ich bin sicher, das liegt nur an Alex und Justin und nicht an mir.
An dem kleinen Anleger vor der Zugbrücke liegen zwei Boote im Wasser. Unseres und das der Engländer.
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