Coolman und ich. Rette sich, wer kann. (German Edition)
wert ist.
Egal, Hauptsache, der kleine Zwischenfall führt nicht zu diplomatischen Verwicklungen zwischen Deutschland und England. Schließlich will ich nicht daran schuld sein, wenn die Beziehungen zwischen London und Berlin auf zehn Grad minus einfrieren. Heute schon gar nicht, wo doch gleich oben auf der Wiese vor der Burg das deutsch-englische Verbrüderungsfest startet.
Die Dörfler haben eine Menge Stände aufgebaut, an denen man sich etwas zu essen kaufen kann. Auch unsere Gasteltern sind dabei: Sie bieten ihre berüchtigte Fleischpastete an, und Alex und Justin haben nichts Besseres zu tun, als sich sofort in der langen Schlange anzustellen.
Außerdem verkaufen Margaret und Harvey Gutscheine für Erledigungen aller Art, wie zum Beispiel »Rasen mähen« und »Boden schrubben«. Wenn ich das richtig verstehe, sind die Gutscheine nur innerhalb der nächsten zehn Tage gültig und enden genau dann, wenn Alex, Justin und ich wieder abreisen. Ich – Sherlock Holmes junior – habe den begründeten Verdacht, dass da ein Zusammenhang besteht. Der Dudelsackbläser und sein Zuckerpferd sind unter die Sklavenhändler gegangen, und das wundert mich überhaupt nicht. Die Engländer haben schon im neunzehnten Jahrhundert ihren Wohlstand darauf aufgebaut, arme Afrikaner auf ihren Sklavenbooten nach Amerika zu verschleppen. Das hat in England Tradition, genauso wie Kricket spielen oder Tee trinken.
Zwischen den Ständen entdecke ich Lena. Sie streichelt einen Hund, der sich vor ihr wohlig auf dem Rücken rekelt. Möglichst lässig schlendere ich zu ihr hinüber.
»Hallo, Lena! Ist das dein Hund?«
»Klar, den habe ich in meinem Koffer über die Grenze geschmuggelt«, antwortet Lena, ohne aufzublicken.
»Wirklich?« Ich knie mich neben sie und strecke meine Hand aus, um den Hund hinter den Ohren zu kraulen.
Das scheint ihm nicht zu gefallen. Sein wohliges Brummen geht in ein drohendes Knurren über. Er fletscht die Zähne und hört erst wieder auf, als ich meine Hand in Zeitlupe aus der Schnappweite seiner Schnauze zurückziehe.
»Idiot! Der Hund gehört Charles. Er heißt Hamlet und ist ein ausgebildeter Jagdhund. Hamlets Stammbaum reicht lückenlos zurück bis in die Zeit der Kreuzzüge. Ist das nicht toll?«
»Ich bin begeistert«, antworte ich und lasse den Hund nicht aus den Augen. Hamlet mag mich nicht. Vielleicht ahnt er, dass ich kurz davor bin, seinem Herrchen das Handwerk zu legen.
»Lena, du musst jetzt ganz stark sein«, beginne ich zaghaft, weil ich sie vorsichtig auf die große Enttäuschung vorbereiten will. »Charles ist nicht ...«
Ehe ich weiterreden kann, taucht der Betrüger mit seinem Butler persönlich auf. Hamlet springt auf und begrüßt den kleinen Lord stürmisch.
Charles, der alte Schleimer, küsst Lena zur Begrüßung wieder die Hand. Mich empfängt er deutlich kühler. Vielleicht ahnt er, dass ich ihn durchschaut habe. Wenigstens knurrt er mich nicht an, so wie Hamlet. Vielleicht ist er aber auch einfach immer noch sauer wegen des Rolls-Royce und der Steine.
»Da vorne ist ein Stand, da kann man Bogen schießen. Hast du Lust?«, fragt er Lena.
»Klar haben wir Lust«, antworte ich schnell, damit die beiden mich hier nicht einfach stehen lassen.
Geschossen wird mit englischen Langbögen. Es ist das gleiche Modell, das schon Robin Hood benutzt hat. Die Zielscheibe steht etwa zweihundertfünfzig Meter von uns entfernt am Rande eines kleinen Waldes.
»Irgendwer hat die Scheibe dahinten vergessen. Jemand muss sie näher ranholen, ehe wir anfangen können«, bemerke ich und schaue erwartungsvoll den Butler an.
»Die Scheibe steht genau da, wo sie hingehört«, erwidert der kleine Lord. »Oder bist du kurzsichtig?«
Ich tue, als hätte ich das nicht gehört, weil ich damit beschäftigt bin, probeweise den Bogen zu spannen. Das ist gar nicht so einfach.
Dem kleinen Lord scheint das keine Schwierigkeiten zu bereiten. Der Butler reicht ihm einen Pfeil und Charles legt ihn auf die Sehne. Dann spannt er den Bogen, bis das Eibenholz zu ächzen beginnt.
Schnurgerade schwirrt der Pfeil davon und bohrt sich genau in die Mitte des mittleren Kreises der Zielscheibe. Die Zuschauer – und das sind eine ganze Menge, eigentlich das ganze Dorf – jubeln und werfen vor Begeisterung ihre Hüte in die Luft.
Kein Wunder: Das sind ja schließlich alles die Leibeigenen des kleinen Lords und seiner raffgierigen Familie. Wenn die nicht pflichtschuldig applaudieren, müssen sie bei der nächsten Ernte
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