Copyworld: Roman (German Edition)
schnauft melancholisch. Ihm ist plötzlich, als
ströme alle Wärme des Universums in seine Brust, und um sich Platz zu
verschaffen, drängt sie ihm die Tränen aus den Augen – er heult kläglich, ohne
einen Grund nennen zu können.
“Oh, mein Zintchen… was haben sie
mit dir gemacht…” Ihre Stimme klingt traurig, und sie streichelt zärtlich
seinen Wangen. Hyazinth bringt nur unartikulierte Laute hervor. Am liebsten
würde er alles hinausschreien, was da mit Gewalt in ihm aufbricht, aber er
vermag nur wie eine Wolf zu heulen.
“Das reicht!” Korund Steins Worte
sind kalt und herrisch.
“Reißt euch zusammen!”
Sirrah streichelt lächelnd seinen
Rücke, plötzlich aber zuckt sie zusammen und tritt einen Schritt zurück.
“Was ist das? Du bist bewaffnet!”
Sie schaut Korund Stein an, als
habe sie die Frage an ihn gestellt. Der verzieht ein wenig das Gesicht.
“Du hast es bereits sehr treffend
formuliert: Dein Zintchen ist erwachsen geworden. Aber das Denken hat er immer
noch nicht gelernt, er benutzt dazu alle möglichen Organe, nur nicht sein
Gehirn.” Und nach einer kurzen, nachdenklichen Pause setzt er hinzu, ohne jede
Spur von Ironie: “Er war in Van Zyl… und nun hat er einige durchaus berechtigte
Fragen…”
Sirrah starrt Hyazinth ungläubig
an. “In der Festung? Aber um Himmelswillen, was hattest du dort verloren?”
Hyazinth schweigt. Tante Sirrah
weiß also auch davon, denkt er. Sie hat es all die Jahre gewußt. Alle haben es
gewußt, nur ich tappe wie blind durch die Welt.
“Erzähl es ihr!” fordert der Erste
Exarch.
Während Hyazinth berichtet,
diesmal ruhiger und zusammenhängend, aber auch etwas unkonzentriert, weil ihm
andauernd die Frage im Kopf herumgeht, was hier eigentlich gespielt wird,
während er also redet, führt sie der Exarchen zielstrebig durch Gänge und
Korridore. Sie passieren mehrere Sicherheitsschleusen, schließlich stehen sie
vor einer mit Verbotstafeln überdeckten Tür, auf der Hyazinth die in übergroßen
Lettern gehaltene Warnung auffällt: “Bei unbefugter Sensorbetätigung sofortige
Extomie!” Sogleich erinnert er sich an seine erste Audienz bei Korund Stein und
an den unglücklichen Protektor, dem die Nerven durchgingen. Der Exarch oder
Beryll – er erinnert sich nicht mehr genau – hatte ihm erklärt, Extomie sei
eine Art Zwangs- oder Havarie-Digitalisierung, die in Zehntelsekunden vollzogen
wird.
Tremakut aber hat ihm glaubwürdig
versichert, es gäbe keine Digitalisierung, weil diese technisch unmöglich sei.
Dann wäre Extomie nichts anderes als eine standrechtliche Exekution, Mord…
Hyazinth schüttelt verwirrt den
Kopf. Nein, ausgeschlossen, so etwas ist mit der Lehre von der Großen Umkehr
unvereinbar, also muß es eine andere Erklärung geben. Am Boden erkennt er feine
Linien, sie bilden ein Quadrat vor dieser Tür. Unwillkürlich schaut er zur
Decke empor. Auch dort zeichnen sich Linien in Form eines Quadrates ab. Ihm
fallen die gläsernen Trennwände ein, die aus dem Boden schossen, als der
Protektor spurlos verschwand.
Wenn diese Tür derart gesichert
ist, innerhalb eines über alle Maßen mit Sperren, Schleusen, Verbotsschildern
und Alarmanlagen ausgestatteten Objektes, dann muß sich dahinter höchst
Interessantes verbergen, denkt Hyazinth mit wachsender Neugier.
“Du willst ihm wirklich alles
zeigen?” fragt Sirrah mit für Hyazinth unverständlichem Vorwurf in der Stimme.
“Es muß sein!”
“Er wird es nicht verstehen.
Zintchen ist zu gut… du hast recht, er denkt mehr mit dem Herz als mit dem
Kopf. Wie könnte er da begreifen, daß man manchmal Böses tun muß, um das Gute
zu erringen…”
“Quatsch! Schau ihn dir an! Der
ist mit besinnlerischen Terroristen durch die Kalte Wüste gezogen, hat die
Festung Van Zyl gestürmt, sich mit unseren Prätorianern herumgeschlagen – und
jetzt will er uns weismachen, er hätte nichts, aber auch gar nichts begriffen.
Entweder ist er ein ausgekochtes Schlitzohr, oder er ist so entsetzlich blöd,
daß ich meinen…” Er unterbricht sich abrupt.
“Er ist nicht blöd, er ist
einfach nur gut. Damit mußt du dich endlich abfinden. Du hast es nicht
geschafft!”
Die letzten Worte hat Sirrah
geradezu gezischt.
Hyazinth schaut befremdet von
einem zum anderen. Weniger der Inhalt ihrer kurzen Auseinandersetzung erstaunt
ihn, als der private Umgangston, die wie selbstverständlich wirkende
Respektlosigkeit Sirrahs und die zwar heftige, aber alles andere als autoritäre
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