Copyworld: Roman (German Edition)
irgendwie hatte er auch
das Gefühl, irgendetwas ränne ihm siedendheiß aus Nase und Ohren.
Irgendwie kam er auf die Beine
und wankte zu Rutila, ließ sich neben ihrem aufbäumenden Körper auf die Knie
fallen. Rutilas Lider zitterten, und die Augäpfel darunter rollten wie bei
einem Blinden.
“Rutila!!” Hyazinths Schrei muß
in der ganzen Welt zu hören gewesen sein. Er warf sich über sie und bedeckte
das immer noch zuckende Gesicht mit Küssen. Erst als sie steif und kalt unter
ihm lag, kam er zu Besinnung.
Tauphi starrte ihn mit Tränen in
den Augen an und flüsterte: “Das wollte ich nicht, Hyazinth…”
Er wankte auf sie zu und hob die
Hand. Tauphi wich nicht zurück. Auch als er erbarmungslos zuschlug, rührte sie
sich nicht. Als seine Faust ihr zartes Gesicht traf, riß ihn der Schmerz in der
linken Schulter erneut von den Beinen, und er fiel in die erlösende Stille
einer tiefen und langen Ohnmacht.
Tauphi hat ihm längst verziehen,
aber er ist nicht imstande, ihr zu verzeihen. Hyazinth ist sich des Irrsinns
deutlich bewußt, aber er kann nicht anders. Natürlich hat Tauphi ihm das Leben
gerettet – aber sie hat Rutila ermordet. So sehr er Tauphi auch liebte, so
wenig ist er nun fähig, ihre Gegenwart zu ertragen. Es ist ungerecht, ihr
gegenüber ebenso, wie sich selbst gegenüber, das begreift er sehr gut. Doch
läßt sich ein Erdbeben nicht verhindern, ob man nun seine Mechanismen kennt
oder nichts darüber weiß. Rutilas Tod erschütterte sein Leben wie ein Erdbeben,
und zwischen ihm und Tauphi riß dabei der Boden zu einer tiefen Spalte auf.
Hyazinth hat keine Liebe mehr,
nur noch Haß. Er wird diejenigen finden, die dafür verantwortlich sind, daß
junge Mädchen einander abschlachten müssen wie Vieh.
Und dann wird er töten, töten,
töten!!
Die Schulter ist längst verheilt,
trotzdem spürt er – besonders unter seelischer Erregung – noch starke
Schmerzen. Wie oft hat er sich das Gehirn zermartert. Rutila nannte ihn einen
Verräter. Muß er daraus schlußfolgern, sie sei als EXA-treuer Protektor in Van
Zyl gewesen? Das hieße aber, sie wußte von allem und billigte es; nein, das
würde gar bedeuten, der Exarch selbst… Hyazinth kann es einfach nicht glauben.
Noch weniger aber scheint ihm möglich, daß Rutila Mitglied einer Verschwörung
gegen die Lehre von der Großen Umkehr gewesen sein soll.
Die Gedanken fallen in die Tiefe
seines Vergessens, und er kann sie nicht halten. Je weiter sie sinken, desto
mehr verschwimmen sie, als taumelten sie in das dunkle Wasser eines
geheimnisvollen Brunnens hinab. So geht es ihm jedesmal, wenn er an Rutila
denkt. Er hat einen konkreten Verdacht: Rhomega hatte ihm gesagt, um den
Wächter solle er sich nicht kümmern, die Antisteinistische Revisionsfront würde
dafür sorgen, daß in der Gesundheitswache und auf Korund Steins Bildschirmen
nichts Verdächtiges erscheinen würde. Er mußte sofort an Holunder denken, sagte
aber nichts. Erst später kam ihm die Idee, daß Rhomegas Leute sein Bewußtsein
aktiv beeinflussen könnten, und jedesmal, wenn er daran denkt, fallen seine
Gedanken in diesen tiefen Brunnen…
Der Luftstrom des Schwebeschachts
trägt ihn sanft nach oben, bis in eine kleine Kammer, die nur eine Tür hat.
“Verdammte Scheiße”, knurrt
Hyazinth, als er den Schließmechanismus sieht. “Hätte ich doch einen Laser
mitgenommen!”
Er hätte damit rechnen müssen, daß
sich dieses Schloß nur mit einem Papillarliniensensor öffnen läßt. Wütend
schlägt er mit der Faust gegen die Tür, einmal, zweimal, schließlich trommelt
er gegen das matte Metall, obgleich er genau weiß, daß durch die Panzerung kein
Laut dringt. Dann gibt er seufzend auf.
Das Bereitschaftslämpchen über
dem Sensor blinkt spöttisch. “Jaja, ich weiß: Ich bin blöd!” zischt er das
Lämpchen an und klatscht die flache Hand gegen die Sensorfläche. “So geht das!
So, so, so! Man muß nur die richtigen Linien auf der Handfläche haben!”
Auf einmal ertönt ein leises
Summen. Hyazinth springt überrascht beiseite. Behäbig klappt die Panzertür aus
der Wand und gibt den Durchlaß frei. Helles Licht dringt aus der Öffnung.
Hyazinth faßt sich schnell und
tritt mit gesenktem Kopf durch die Tür.
“Ewige Liebe, Deva; Bewahrer,
Seher, Schöpfer! Verzeih mein anmaßendes Auftreten, die Nichtachtung unsrer
großartigen Gesetze. Es geht nicht nur um unser aller Leben, es geht nicht nur
um die Sicherheit des Projektes Copyworld – die Lehre unseres
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