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Copyworld: Roman (German Edition)

Copyworld: Roman (German Edition)

Titel: Copyworld: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Szameit
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Meisters Kong Qiu ist in Gefahr. Nur deshalb bin ich
der Vermessenheit fähig, solcherart bei dir einzudringen: Weil ich einer
Verschwörung auf die Spur gekommen bin, deren Ausmaß so unvorstellbar ist, daß
ich nur dir – Deva, Bewahrer, Seher und Schöpfer – vertrauen darf.
    Gestatte mir, zu berichten!”
    Eisiges Schweigen ist die
Antwort. Hyazinth wagt nicht, den Blick zu heben. Ein Frevel ohnegleichen ist
es, in die Gemächer des Ersten Exarchen einzudringen. Wäre ein Protektor
anwesend, hätte er das Recht, Hyazinth ohne Warnung über den Haufen zu
schießen. Aber Hyazinth weiß, daß es keinem Protektor erlaubt ist, auch nur
einen Fuß in das Arbeitszimmer Korund Steins zu setzen. Der Exarch sagt kein
Wort, und Hyazinth schwitzt vor Aufregung, daß sein Trikot am Leibe klebt.
    Keine Sekunde seines Lebens hat
er an der Weisheit des Ehrenmärtyrers gezweifelt, doch hatte er ihn durchaus
schon zorniger gesehen, als er es je für möglich gehalten hätte. Damals,
während jener verhängnisvollen Audienz. Wie wird Korund Stein heute reagieren?
    Das lange Schweigen verheißt
nichts Gutes.
    Hyazinth schielt aus den
Augenwinkeln zum sichelförmigen Arbeitstisch des Exarchen hinüber, aber er kann
nur die Füße des Möbels und die dicken Stränge der herabhängenden Kabelbündel
erkennen. Unmerklich hebt er den Kopf, wenige Millimeter erst, dann einen, zwei
Zentimeter – und plötzlich mit einem energischen Ruck.
    Korund Steins Sessel ist leer.
    Hyazinth zuckt zusammen und
krümmt sich unter der zu erwartenden Flut von Beschimpfungen. Vermutlich steht
der Exarch vor der Panoramafläche, von der aus ganz Weltenstein zu überblicken
ist – sein Lieblingsort im ganzen Kegelturm. Wahrscheinlich beobachtet er
Hyazinth schon die ganze Zeit mit wachsendem Unwillen und wird gleich ein
Donnerwetter losbrechen lassen.
    Doch nichts geschieht.
    Minutenlang steht Hyazinth zu
einer devoten Pose verbogen, ohne eine Regung. Dann faßt er sich ein Herz und
schaut nach rechts, zur Panoramawand hinüber, blickt unruhig in die
entgegengesetzte Richtung, begreift endlich: Der Erste Exarch ist gar nicht im
Zimmer!
    Ein glucksendes Kichern wallt in
ihm auf.
    Mensch, wie blöd ich bin, denkt
er. Ob es noch einen anderen Kerl auf der Erde gibt, der so bescheuert ist wie
ich! Das ist aber auch ein Zufalle, daß ich gerade in dem Augenblick ins
Allerheiligste stolpere, als Korund Stein ganz offenbar von einem spezifischen
Bedürfnis zu einem anderen Ort getrieben wurde. Ob überhaupt schon mal jemand
daran gedacht hat, daß auch der größte Mann der DTEA mal pinkeln muß?
    Hyazinth wartet eine Weile, steht
unentschlossen im Zimmer und kämpft diszipliniert Gedanken nieder, deren
Charakter mit zunehmender Abwesenheitsdauer des Exarchen an Respektlosigkeit
gewinnen.
    Schließlich – er hat bereits
länger als eine Stunde gewartet – löst er sich aus der starren Haltung und
tritt an die Panoramawand heran. Da unten liegt Weltenstein. Einst hatte er
davon geträumt, diese Stadt, diese Welt zu seinen Füßen zu beherrschen.
Inzwischen weiß er, daß solch ein Moloch unregierbar ist. Man kann ihn wohl zähmen,
bändigen – aber wirklich beherrschen niemals. Es sei denn mit roher Gewalt.
Aber die Peitsche war nie ein Symbol wahrer Herrschaft, sondern immer nur der
zuckende Phallus erbärmlicher Angst, der nichts weiter konnte, als Samen der
Furcht auf die Erde zu spritzen.
    Wie wird es Korund Stein
aufnehmen, wenn er erfahren muß, daß dort unten Kräfte wirken, die sich längst
seiner Kontrolle entzogen haben? Wird er den Boten die schlechte Nachricht
vergelten lassen? Nein, da ist Hyazinth sicher, der Exarch wird es ihm danken,
und vielleicht wird er Hyazinth zum Lohn mit der Eliminierung der Feinde
beauftragen.
    Er packt die Nadelpistole fester.
Sie sollen es büßen, alles, was sie ihm und seiner Welt antaten. Er wird ohne
Gnade töten, töten, töten!
    Nach weiteren vier Stunden
vergeblichen Wartens begreift Hyazinth endlich: Es ist eine Legende. Der Exarch
schläft nachts genauso wie jeder andere normale Mensch.
    Er lacht heiser auf. Welch
genialer Einfall! Einfach nur das Licht brennen zu lassen. In der Vergangenheit
mußte ein gigantischer Apparat aus Bildungseinrichtungen, Kunst und Medien
herhalten, um vergleichbare Legenden in die Welt zu setzen. Korund Stein läßt
einfach das Licht in seinem Arbeitszimmer brennen…
    Hyazinth lacht schallend. Die
linke Schulter schmerzt. Sein Lachen wird zu einem heftigen Keuchen.
    Vermutlich

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