Copyworld: Roman (German Edition)
zu sein bestrebt war, weil ihm die Kraft zum Bösen fehlt, daß er wie
ein Blinder die Dunkelheit pries. Und dieser Mann, der sich sein Vater nennt,
sagt es ihm unbarmherzig ins Gesicht.
“Es ist deine allerletzte Chance,
mein Sohn, deiner Bestimmung gerecht zu werden. Folge mir auf dem Weg der
Macht, und vergiß endlich die Träume deiner Pubertät. Bekenne dich zu der
wilden Sehnsucht zu unterwerfen, zu beherrschen, und flüchte dich nicht länger
in die Bequemlichkeit humanistischer Heuchelei!”
In Hyazinth bäumt sich all das
auf, was er bisher mit eiserner Disziplin unter Kontrolle hielt. Oh ja, jetzt
begreift er den tieferen Sinn der Generalgebote, die ihm immerzu wie ein
Gefängnis erschienen, in das der unbändige Geist wahrhaft schöpferischer
Menschen gesperrt ist. Nun endlich versteht er den ewigen Konflikt zwischen
seinem Denken und den strengen Regeln des Martyriums. Für ihn gilt das alles
nicht mehr! Er ist zu anderem berufen als dazu, treu zu dienen. Er mußte sich
auflehnen gegen dieses Regelwerk, dem er letztlich nur zum Schein unterworfen
war, das geschaffen wurde, die weniger Berufenen zu sammeln und zu ordnen, ihre
geringeren Fähigkeiten und Kräfte zu vereinen und der Führung der Auserwählten
zu unterstellen.
Oh Vater, du irrst, ich bin nicht
schwach! Ich habe die Hand gegen dich erhoben – ist das die Tat eines
Schwächlings?
Die Erkenntnis durchflutet ihn
mit tiefer Wärme. Mit einem Ruck befreit er sich aus Sirrahs Umklammerung und
tritt vor seinen Vater.
“Du willst keine Entschuldigung
von mir, Vater”, sagt er rauh. “Ich weiß es. Jedesmal, wenn ich aufbegehrte
gegen die Zwänge, die mich lenkten und leiteten, muß es dir eine große
Genugtuung gewesen sein, und immer, wenn ich demütig gehorchte, war ich dir
eine ebenso große Enttäuschung. Es muß dir sehr schwergefallen sein, mir meine
wahre Herkunft so lange zu verheimlichen und mir so die schwerste aller
Prüfungen aufzuerlegen…”
Hyazinth ist wie betrunken. Wie
köstlicher Wein quillt es aus den dunklen Nischen seines Ichs, was er unter
Qualen zurückgehalten hatte, was er niedrig und böse schimpfte, als er sich
seiner wirklichen Kraft noch nicht bewußt war.
Und Korund Steins Augen leuchten
auf. Er schließt Hyazinth aufstöhnend in die Arme.
“Ich hatte dich schon fast
verloren, mein Sohn. Aber nun soll uns nichts mehr trennen. Du wirst mehr sein
als der Spiegel, in dem ein alter Mann seine Vergangenheit bestaunt – das
verspreche ich dir. Du selbst sollst der Gott dieser Welt sein! Und ich werde
zu dir beten…”
Hyazinth fühlt sich wie jemand,
der nach einer schier endlosen Irrfahrt durch die Welt endlich zu Hause
angekommen ist und seufzend auf das Lager sinkt. Sein Kopf, gerade noch
angefüllt mit Bildern von schrecklichen Erlebnissen, mit quälenden Fragen und
vermeintlicher Gewißheit von der Endgültigkeit seines Schicksals als
heimatloser Wanderer, ist plötzlich leicht und frei.
Da sagt Korund Stein: “Nur eines
steht noch zwischen dir und mir, Sohn.”
Ein unheilvoller Klang ist in
seiner Stimme.
“Nur dieses eine noch –
Szingold.” Er schiebt Hyazinth mit befehlender Geste von sich und blickt ihn
hart an.
“Vernichte Szingold!”
Hyazinth ist, als reiße ihn eine
gräßliche Macht mittendurch. Nein! will er aufschreien, aber die Kehle ist ihm
wie zugeschnürt. Es wäre auch zwecklos. Der Blick des Ersten Exarchen läßt
keinen Zweifel daran, daß er dieses eine Mal noch keinerlei Widerspruch dulden wird.
“Vernichte Szingold!”
Hyazinth hebt abwehrend die
Hände, da sieht er das Blut an seinen Fingern. Es ist das Blut seines Vaters.
Töten soll nur, wer dazu befugt
ist.
Er stolpert einige Schritte
zurück, duckt sich unter dem herrischen Blick seines Vaters. Als er gegen
Sirrahs Körper stößt, bleibt er stehen.
“Vernichte Szingold!”
Sirrah tastet nach seiner Hand
und plötzlich spürt er einen geriffelten Gegenstand zwischen seinen Fingern.
Seine Faust schließt sich um den Griff der Nadelpistole.
Korund Stein lächelt kalt und
überlegen.
“Nein, Sirrah, ein zweites Mal
wird er es nicht wagen. Der Sohn wird nicht seinen Vater morden.”
Hyazinth hebt die Waffe, dann
schließt er die Augen, um nicht dieses selbstsichere Grinsen sehen zu müssen.
Glücklichen Omegatag, Vater.
Dann drückt er ab.
Er hört den Vater mit dumpfen
Poltern fallen und läßt sich stöhnend zu Boden sinken, umklammert Sirrahs Knie
und preßt das Gesicht gegen ihre Schenkel.
Hyazinth
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