Copyworld: Roman (German Edition)
Dann lächelte er und sagte: “Aber wo denkst du hin! Copyworld wird nie ein Mittel zum Zwang sein, sondern
ein Weg zur Freiheit. Ja, gut, ich habe dir damals nicht die Wahrheit gesagt:
Natürlich wußte ich, daß die Digitalisierung völliger Quatsch ist. Aber dein
Vater hatte befohlen, vorerst auch dich zu täuschen. Sag selbst: Hätte ich dir
vetrauen, dich einweihen sollen - gegen den Befehl deines Vaters? Ausgerechnet
dich, den Kronprinzen? Schließlich hattest du den ultimativen Test positiv
bestanden...”
Also hatte sich Beryll schon
damals doppelt abgesichert: Diesen sogenannten Test mit der vorgetäuschten
konspirativen Zusammenkunft konnte er nun beliebig auslegen. Hyazinth ahnte
allmählich, daß er wirklich in Gefahr war.
“Jetzt erst, wo jede Möglichkeit
des Mißbrauchs durch eine autokratische Verbrecherbande steinistischer Prägung
ausgeschlossen ist, jetzt erst wird Copyworld den Weg in eine unvorstellbare Zukunft bahnen. Du solltest deine
Verdächtigungen nie laut äußern! Die Leute wollen Copyworld , und wer ihnen den
Wecker in ihre Träume klingeln läßt, dem danken sie es mit dem Knüppel. Überlaß
das alles ruhig mir. Du kennst mich, Hyazinth, und weißt, daß du mir trauen
kannst.”
Tatsächlich hatte er dem Obersten
Projektanten letztlich vertraut. Zu verwirrt war er noch von all den
Veränderungen um ihn herum, zu tief saß noch das Entsetzen, das ihn gepackt
hatte, als ihm der Mord an seinem Vater erst richtig bewußt geworden war.
Wochenlang war er unfähig, einen einzigen klaren Gedanken zu fassen, und wäre
seine Mutter nicht gewesen, hätte er diese schlimme Zeit wohl kaum überlebt.
Mutter. Dieses Wort war ihm zuvor
ebenso fremd gewesen wie das Wort Vater. Als er erst richtig begriffen hatte,
daß Sirrah seine Mutter, er in ihrem Leib gewachsen war, da half ihm die
unfaßbare Liebe dieser Frau, endlich wieder die Farben des Lebens zu erkennen.
Auch Holunder half ihm dabei. Als
der Schulfreund sich zu erkennen gab, war Hyazinth kaum überrascht. Schon immer
hatte er geahnt, daß der Lange mit dem ewig zuckenden Adamsapfel die Konturen
der Welt klarer und schärfer sah als er. Die Verbindung zur Antisteinistischen
Revisionsfront war folgerichtig. Kaum hatte sich die Beryllische Freiheitsliga
konstituiert, attackierten Holunder die Trittbrettfahrer in heftigen Reden,
doch die Menschen wollten seine Reden nicht hören. Es war so, wie Beryll es
vorausgesagt hatte: Sie begannen zu murren und zu pfeifen, wenn Holunder sie
mahnte, ihre Seelen nicht einem intellektronischen Moloch zu verkaufen.
Und schließlich warfen sie mit
Steinen nach dem jungen Mann, der den Antisteinistischen Widerstand innerhalb
Weltensteins mit künstlerischem Geschick organisiert und den Sturz des Regimes
unter ständiger Lebensgefahr vorbereitet hatte.
“Beryll ist ein verdammtes
Arschloch!” hatte Holunder wütend geknurrt. “Der hat sich in jede
Himmelsrichtung ein Hintertürchen offengelassen, hat alle und jeden belogen und
betrogen und wird es auch weiter tun. Ja, wir haben ihn einmal angesprochen. Er
hat sich gewunden und geschlängelt, nicht ja und nicht nein gesagt, schließlich
so eine Art Neutralitätserklärung abgegeben und versprochen, Stillschweigen zu
wahren. Das war alles.”
“Aber warum glauben sie ihm?”
“Weil er der Herrscher über
Copyworld ist. Deshalb solltest du
damals Proteus ausfindig machen. Weißt du, wer Proteus ist?
“Natürlich.” Hyazinth nickte und
Holunder lächelte traurig.
“Nein, du weißt nur die Hälfte.
Proteus ist der Vater Berylls. Als Proteus seinerzeit demonstrativ in den
Omegaschlaf ging, um gegen den geplanten Mißbrauch seines Werkes zu
protestieren, hatte Beryll ihm versprechen müssen, das Werk des Vaters
fortzusetzen und zu schützen. Schon damals litt Beryll im Schatten seines
berühmten Vaters die Höllenqualen des Ehrgeizigen, der immer nur die zweite
Geige spielen darf. Er hat seinen Vater gehaßt wie keinen zweiten Menschen auf
dieser Welt. Und als Proteus endlich
gegangen war, da senkte sich ein anderer mächtiger Schatten auf ihn herab – der
des Ersten Exarchen. Glaube Beryll kein Wort, gleich, was er redet. Er hat nur
das eine im Sinn: Nicht mehr im Schatten stehen zu müssen…”
“Hör auf!” zischt Hyazinth die
Fadenschaumspinne an, als sie zaghaft am Platinkettchen ruckt. “Laß das, du
dummes Vieh!” Er nimmt das Ende der Kette und schlägt damit nach Federchen. Das
Tier verharrt und sieht ihn fragend
Weitere Kostenlose Bücher