Copyworld: Roman (German Edition)
ängstliches
Flackern huscht über sein Gesicht.
“Ich bin befugt, zu töten!”
Hyazinths Hand greift ins Leere. Die Pistole ist weg. Er zögert nur eine
Sekunde, orientiert sich blitzschnell und sieht auf dem weißgekachelten Tisch
die kleine Kreissäge. Als er mit dem Gerät zum Schlag ausholt, hört er Sirrah
kreischen: “Er ist dein Vater, Hyazinth!”
Zuerst bedeuten ihm diese Worte
nichts. Vater – was ist das schon, lediglich Erinnerung an Zeiten barbarischer
Fortpflanzungsmethoden. Vater. Die Maschine singt und zwitschert in seiner
Faust, senkt sich mit flimmernder Sägescheibe gegen Korunds Kopf. Der alte Mann
starrt ihn aus vor Entsetzen geweiteten Augen an, ist vor Angst wie zu Stein
erstarrt. Vater.
Im letzten Augenblickk reißt
Hyazinth die Hand zur Seite, in jenem Augenblick, als Korund schreit: “Garuda!”
Das Gerät streift die Schulter
des Ersten Exarchen und poltert zu Boden. Der Exarch krümmt sich vor Schmerz,
aus einem fingerlangen Riß im Oberarm sickert Blut. Vater. Dieses Wort hat
Hyazinth nie irgendetwas bedeutet. Aber in Sirrahs Ruf war ein Klang, der ihn
mit geheimnisvoller Macht hemmte.
Er ist mein Vater.
Ihre Arme schlingen sich um
seinen Oberkörper wie Stricke, ihn zu fesseln, aber Hyazinth dringt auch so
nicht mehr gegen seinen Vater vor. Er schaut nur wie betäubt auf den sich
windenden alten Mann hinab.
“Töte ihn nicht!” flüstert Sirrah
ihm ins Ohr. “Er liebt dich mehr als sonst irgendetwas auf dieser Welt. Er hat
alles nur für dich getan…”
Hyazinth wird plötzlich
schlagartig klar, welchen Sinn die verschlungenen Wege seines Lebens bargen.
“Nein!” Er macht sich mit einem
Ruck frei. “Nicht meinetwegen. Sein Ebenbild wollte er haben, einen Götzen, der
ihm aufs Haar gleicht. Nur deshalb war er bereit, die Macht mit mir zu teilen:
Damit er jeden Tag, jede Stunde und Sekunde sich selbst anbeten könnte, ein
Abbild seiner Herrlichkeit. Deshalb erzürnte ihn jeder noch so geringe Makel,
den seine Schöpfung aufwies. Deshalb will er einfach nicht wahrhaben, daß sein
Plan von Anbeginn zum Scheitern verurteilt war. Welch eine Heuchelei, welch
erbärmlicher Selbstbetrug. Nein, dieser dort ist nicht mein Vater!”
Korund Stein richtet sich ächzend
auf. Auch in seiner Stimme ist nun unbändiger Haß.
“Viel ähnlicher bist du mir, als
ich je zu hoffen wagte, mißratener Sohn! Als ich mich über das Verbot
hinwegsetzte, leibliche Kinder zu zeugen, als ich Sirrah zwang, mir zu willen
zu sein – die schöne kluge Sirrah, die mir als einzige geeignet erschien, mir
einen gesunden, kräftigen Sohn zu schenken – als ich dich mit meinen eigenen
Händen ihrem Schoß entriß, da bereits wußte ich, daß du dich gegen mich erheben
wirst, denn du bist mein Sohn! Du mußtest zwangsläufig denselben Weg gehen wie
ich, jeden einzelnen Irrtum begehen, jede Enttäuschung durchleben, jede
Niederlage deiner hehren Ideale. Erst wenn du ehrlichen Herzens voller
Verachtung auf die Menschen hinabschauen kannst, bist du wirklich deinem Vater
ebenbürtig. Erst wenn du verstanden hast, daß Ideen nicht gedacht werden, um
allen Menschen Glück zu bringen, sondern der Macht der Wenigen zu dienen, die
sie wirklich und produktiv zu nutzen verstehen. Sieh die Menschen dieser Welt
nackt und bloß, und du wirst das Raubtierfunkeln ihrer Augen entdecken, die
Bereitschaft, unverzüglich übereinander her zu fallen, sobald die sie
beherrschende Macht ihren dunklen Seelen nur handbreit die Gittertür öffnet.
Begreife endlich, daß alles Gefasel von Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit
nur der Gesang von Galeerensklaven ist, die ohne Gnade jeden ans Kreuz nageln,
der solche Lieder singt, wären sie selbst der Schiffseigner. Finde dich damit
ab, daß Gott nur die Sehnsucht der Schwachen ist – wir Starken brauchen keine
Götter neben uns, die uns in unsere göttlichen Pläne pfuschen. Du nennst die
Aufrührer aus Szingold deine Freunde, ohne dir bewußt zu werden, daß du nur
solchen deine Freundschaft bietest, die zu unterwerfen du nicht fähig bist. Du
hast deinen Auftrag nicht erfüllt. Du hast versagt. Du solltest sie
beherrschen, sie und vor allem ihre Gedanken, Wünsche und Sehnsüchte. Da du
nicht die Kraft des Herrschers besitzt, lehnst du Herrschaft ab, verbirgst
deine Schwäche hinter durchsichtigem Gerede von Moral…”
Mit jedem Wort aus Korund Steins
Mund wächst der Haß in Hyazinth, denn es ist – die Wahrheit!
Wie oft hat er erkennen müssen, daß er nur
darum gut
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