Copyworld: Roman (German Edition)
eines
Rokkokobettes. Meist ist Wölkchen guter Stimmung.
Hyazinth speist morgens nicht, obwohl ihn
ständiger Heißhunger plagt. Das gemeinsame Morgenmahl in der Märtyrerschule ist
üppig genug, so kann er sich diese eigenwillige Weise der Selbstkasteiung
leisten.
Die Pilzfäden des Trikots bohren
ihre Wurzelkapillaren vorsichtig in seine Adern, Hyazinth merkt es am feinen
Kitzeln und an der leichten Schwäche, die ihn für Sekunden befällt, als die
Organismen gierig zu saugen beginnen. Sein Mykorrhizatrikot ist ihm wie eine
zweite Haut, und außerdem besitzt es den unschätzbaren Vorteil, daß sich mit
etwas Geschick allerlei Auswüchse züchten lassen, die als Mähne oder als
lustiges Schwänzchen aus den Fäden wachsen, die an der Außenseite wie ein
seidiger Pelz von eigentümlich violettem Schillern anmuten.
Hyazinth tippt mit dem
Zeigefinger gegen die Panoramascheibe, und augenblicklich verdunkelt sich das
Glas, überzieht sich mit einem bleiernem Nebel, der allmählich aufklart und
einen blanken Spiegel hinterläßt.
Kritisch mustert er sein
Spiegelbild, neigt skeptisch den Kopf, so daß die dunkelblonden Locken auf
seine Schultern fallen und brummt unzufrieden. Das wasserklare Glitzern seiner
Augen ist merklich abgestumpft – er sollte sich wohl die Iris nachfärben
lassen. Die vollen Lippen würde er heute nicht schminken. Lilia hat gestern
gesagt, sie hätte ja gar nicht gewußt, wie erotisch die Kontur seines Mundes
sei – dabei war es lediglich eine Frage mangelnder Zeit gewesen, und so recht
wohl hat er sich die ersten Minuten auch gar nicht gefühlt, ohne den silbrigen
Lack auf den Lippen. Aber wenn Lilia meint. Vielleicht ist sie ja scharf auf
eine Nacht zwischen Wölkchens Hautlappen…
Seine Miene verfinstert sich, er
muß wieder an Jade denken. Was hat sie nur, es fing doch alles so harmonisch
an; und so eine Schönheit ist sie ja nun auch nicht, daß sie es sich leisten
könnte, Männern seines Formates den Laufpaß zu geben. Ihr dünnes, strähniges
Haar hat ihm nie besonders gefallen, auch nicht, wenn sie es zu
fluoreszierenden Nebelschwaden bauschte – da reizen ihn die schweren,
dunkelbraunen Wogen, die sich über Lilias Schultern ergießen, schon mehr.
Aber diese Augen! Hyazinth
seufzt. Als damals der flinke, aufmerksame Blick dieser Eichhörnchenaugen zum
ersten Mal über sein Gesicht wischte, wurde ihm ganz flau, eine seltsame
Schwäche übermannte ihn und ihm schwirrte der Kopf.
Immer auf der Hut vor
irgendetwas, immer auf der Suche nach geheimnisvollen Dingen, alles an sich
reißend und sofort wieder achtlos wegwerfend – so huscht der Blick ihrer
tiefbraunen Augen durch die Welt, und was er auch nur flüchtig berührt, ist auf
seltsame Weise verändert, mit Macht herausgerissen aus der Stille des
Gewöhnlichen. Jade hat den Silberlack gemocht.
Hyazinth greift nach der Hülse
mit der Farbe und schnauft melancholisch. Als der Silberlack getrocknet ist,
zieht er die Oberlippe hoch und begutachtet den Zustand seiner Zähne.
“Au, Scheiße!” Hyazinth bleibt fast das Herz
stehen vor Schreck: In der Mitte des linken oberen Schneidezahns gähnt ein
dunkles Loch. Auf den drei restlichen Schneidezähnen funkeln die Brillanten als
wären sie eben erst eingesetzt worden, der vierte aber ist verschwunden. Die
Rubine auf den Spitzen der Eckzähne glühen feurig, aber dieses häßliche
schwarze Loch ist eine Katastrophe.
Jade hat sich damals immer in
einem Lachkrampf gewunden, wenn er vorm Spiegel Grimassen schnitt und allerlei
Verrenkungen veranstaltete, um auch wirklich jede Stelle seine Körpers auf
etwaige Mängel inspizieren zu können.
Sie selbst hatte nur die Haare
mit beiden Händen zu einer Art Gewitterwolke aufgetürmt und ihm dann voller
Heiterkeit zugeschaut. Als er ihr seine Kosmetikschatulle anbot, lehnte sie ab
und sagte mit einer Spur Verächtlichkeit: “Nur Zwerge stellen sich auf die
Zehenspitzen.”
Das hatte ihn sehr gekränkt, aber
er ließ es sich nicht anmerken. Den ganzen Tag lang wartete er darauf, daß sie
sich über seine Wachsschuppen auslassen würde, aber Jade war damals schon eine
Dame. Obgleich er die Neugier in ihrem Blick bemerkte – sie sagte kein Wort.
Hyazinth wühlt ungeduldig in
seiner Schatulle. Ein herrlicher Smaragd von der Größe eines Daumennagels gerät
ihm in die Finger. Zögernd betrachtet er ihn. Diesen Stein hatte er nur
gekauft, um sein tägliches Shoppingdebit zu erfüllen, so recht weiß er
eigentlich nicht, was er mit
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