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Copyworld: Roman (German Edition)

Copyworld: Roman (German Edition)

Titel: Copyworld: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Szameit
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Märtyrer geht es immer um innere Werte, der gemeine
Mensch hingegen ist auf Materielles aus. Verschwendung ruft Unordnung
hervor...” Erst begriff Hyazinth nicht ein einziges Wort. Aber Opals Stimme
zerhieb erbarmungslos das Gespinst von Irrtümern und Mißverständnissen, das
Hyazinth für die Lehre gehalten hatte, und schmerzlich wurde ihm bewußt, wie
wenig er von den großen Gedanken des Kong Qiu begriffen hatte, wie lang der Weg
noch war.
    “Nur eines darf es im Leben des
Märtyrers geben: Treuen Dienst an der Lehre. Erst wenn alles andere
bedeutungslos wird, wenn die Begierden und Sehnüchte erloschen sind, ist ein
Mensch fähig, ohne Heuchelei und Scheinheiligkeit dem Weg des Martyriums zu
folgen. Ihr sollt euch nehmen, was zu nehmen ihr imstande seid, nehmen, bis es
zur Last wird, zur Qual, Reichtum und Besitz hinterher zu jagen. Ihr sollt eure
Sehnsüchte und Begierden erkennen und ihnen dienen, so lange sie euer Sinnen
und Trachten beherrschen. Ihr seid gezwungen, nach immer neuen, immer
ausgefalleneren Genüssen zu suchen, um das Shoppingdebit zu erfüllen. Eines
Tages dann werdet ihr alles besitzen oder wenigsten kennen, was zum Spaß am
Leben zu gehören scheint. Euer Konto wird dann so angewachsen sein, daß nicht
die geringste Sorge um Materielles euer Denken stören, euer Handeln
beeinflussen kann. So manches heißersehnte Ziel wird sich dann als Trugbild
erweisen, als Nichtigkeit, kaum eines Gedankens wert – und euer von der
ständigen Jagd nach Eigentum gepeinigter Verstand wird sich ganz von selbst den
Dingen zuwenden, die wahrhaftigen Wert unseres Daseins verkörpern…”
    Hyazinth schwindelte, als er
diese Offenbarung vernahm. Wie - er sollte verschwenden, schlemmen, prassen,
genießen und vor allem kaufen, kaufen, kaufen – um sich, dank des zwangsläufig
folgenden Überdrusses, über materiellen Tand und Schund zu erheben, um so die
für das Martyrium erforderliche Reife zu erlangen? Oft dachte er darüber nach
und befand, daß es wohl ein genialer Plan war: Nur die wirklich für den Dienst
an der Lehre Tauglichen würden diese Prüfung bestehen, und diese wären dann
über jeden Zweifel an ihrer Berufung erhaben.
    Für sich selbst war er guter
Hoffnung. Zwar gab es auch damals schon Dinge, auf die er nur ungern verzichten
wollte, aber zunehmend deutlicher spürte er auch die Last des Besitzes, wenn es
galt, immer neuen Bedarf nachzuweisen. Und einige Male hatte er sogar mit dem
Gedanken gespielt, sein Konto einfach annulieren zu lassen. Aber da gibt es
eine seltsame Zusatzklausel. Nur wer in den Besitz von mindestens hundert
Millionen Korund gelangt ist, kann die Märtyrerweihe empfangen. Auch diese
Bedingung hat Opal Stein erläutert: Die Höhe des Kontostandes sei ein präzises
Maß für die Ehrlichkeit, mit der sich der Betreffende den Versuchungen des
Lebens ausgesetzt hat.
    Opal behielt recht. Meist erlosch
Hyazinths Interesse an diesem oder jenem rasch, sobald die Neugier befriedigt
war, und immer stärker rückte die Lehre von der Großen Umkehr ins Zentrum
seiner Existenz.
    Wie wird es sein, wenn ich einst
zu denen gehöre, die das Geschick der Welt in Händen halten? fragt er sich nun
immer häufiger, und diese Neugier ist mächtiger und drängender als alles
bisher.

 
    Grinsend blickt Hyazinth dem
Bruder hinterher, doch da dringt ihm Luft durch den geöffneten Mund in die
Lungen, und sein schadenfrohes Lachen erstickt in Röcheln und Husten. Für eine
kurze Zeitspanne hat er außer acht gelassen, daß man außerhalb von Gebäuden
keinesfalls durch den Mund, sondern immer nur durch die mit Filterstopfen
präparierte Nase atmen sollte. Tränen treten ihm in die Augen, er schnauft und
prustet.   Nur allmählich bekommt Hyazinth
wieder Luft, und auch die Schleier vor den Augen zerwehen schließlich.
    Die schmale, von Trägerkernen und
Turmbauten gesäumte Gasse, die vom Internatsträger bis zu Schule führt, belebt
sich. Es sind keine tausend Schritte bis zur Märtyrerschule, die wie ein
unendlich hoher Stapel riesiger Suppenteller bis über die Wolken ragt. Der
Baustil erinnert Hyazinth immer wieder an die uralten ostasiatischen Pagoden,
wenngleich diese, im Vergleich zum Monumentalbau der Schule, winzige Hütten
sind.
    Immer wieder rauschen
Airspider   über   Hyazinth hinweg. In dieser geringen Höhe
verursachen sie einen gehörigen Lärm, und Hyazinth   muß daran denken, daß die Benutzung von
Airspidern im innerstädtischen Verkehr überall auf der Erde verboten ist

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