Copyworld: Roman (German Edition)
Qualifikation für die Keimperlen erst wenige Tage. Der Wirbel der
Synthese schleuderte ihn meterweit durch die Luft, und danach getraute er sich
kaum, die wie aus dem Nichts gewachsene Kontaktspirale zu betreten, so
schmerzten die Prellungen und Schürfwunden.
Diesmal beobachtet er den
geheimnisvollen Vorgang der Keimung aus sicherer Entfernung. Zuerst schießt
eine Staubfontäne auf, verdichtet sich zu einer Säule aus braunen Nebeln und
beginnt zu rotieren. Inmitten dieser Nebelschwaden gleißt ein schwingendes und
vibrierendes Etwas, das wie ein flammendes Schilfrohr aus dem Boden sprießt.
Der Keimling saugt wie ein gieriger Schlund die ihn umgebende und immer wieder
nachströmende Luft auf, mit einer solchen Geschwindigkeit, daß es pfeift und
heult wie bei einem Sturm, dabei schwillt er unaufhörlich an, bildet Formen
aus.
Obgleich es ein alltäglicher,
gewohnter Vorgang ist, fragt sich Hyazinth auch diesmal wieder, wie die
Menschen des Altertums überhaupt leben konnten, da es seinerzeit, von einigen
unwesentlichen Beimengungen abgesehen, nur Stickstoff, Sauerstoff und
Kohlendioxid in der Atmosphäre gegeben haben soll.
So recht kann er den Historikern
nicht glauben, die meinen, man hätte die Rohstoffe in mühseliger Arbeit aus dem
Boden gewühlt. Wie sollen denn die vielen Schwefelverbindungen und die
Stickoxide, das Kohlenmonoxid und die Dioxine in die Erde gelangt sein? All
diese lebenswichtigen Ausgangsmaterialien können doch nicht im Schoße der Erde
geborgen gewesen sein, wo denn da, etwa in unterirdischen Kavernen und Blasen?
Lächerlich, dann müßte die Oberfläche des Planeten ja voller Löcher sein.
Endlich ist der Liftpilz fertig.
Es dauerte nur Sekunden, aber Hyazinth kann es nicht leiden, auf irgend etwas
warten zu müssen, und eigenartigerweise stören ihn diese kurzen Momente der
Keimung ganz besonders.
Der Lift sieht aus wie ein
mannshoher Bovist. Hyazinth ist sehr stolz darauf, zu wissen, was ein Bovist
ist, denn die Mitglieder der Familie Pilz lassen nicht jeden Märtyrer in ihr
Konservatorium. Wäre nicht diese anstrengende Nacht mit der nimmersatten Marone
gewesen, hätte er nie erfahren, daß die Pilze einst zu den artenreichsten Lebewesen
der Erde gehörten und zu den ältesten.
Kustos Hallimasch hat ihm alles
erklärt, zwar etwas widerwillig – vermutlich lag ihm an Marones Zuneigung –
aber sehr detailliert. Vielleicht wollte er Hyazinth mit der Flut ungewohnter
Begriffe und Zusammenhänge demütigen, jedoch konnte er nicht wissen, daß man
den jungen Märtyrer aus der Familie Blume mit der Vermittlung von Wissen nie in
Verlegenheit bringen kann. Die historische Mykologie erregte Hyazinths
Aufmerksamkeit nicht wenig, all diese exotischen Gebilde – farbenprächtig und
vielgestaltig – ansehen zu dürfen, das war wie eine Reise in die Vergangenheit
der irdischen Flora. Als Hallimasch aber zur angewandten Pilzkunde überging, da
hing Hyazinth förmlich an seinen Lippen, denn er erwähnte auch die Mykorrhiza-Arten
und er sprach über den Pilz Fusarium gramimarum, das Grundnahrungsmittel der
DTEA-Bürger.
Hyazinth grinst bei dieser
Erinnerung, denn als er die Bottiche mit der gärenden braunen Substanz sah,
wurde ihm speiübel, und er brachte zwei Tage lang keinen Bissen herunter.
Der Liftpilz glänzt milchig und
zittert leicht, als sei er ein Lebewesen. Das ist aber nur gespeicherte
Energie, die auf Entladung wartet, Hyazinth läßt sich nicht täuschen. Er fährt
mit dem Fingernagel über die Oberfläche des Gewächses, das augenblicklich
auseinanderklafft und einen Hohlraum öffnet.
Mit einem energischen Ruck an der
Platinkette befördert Hyazinth seine Fadenschaumspinne in das Innere des
Liftpilzes und betritt dann selbst die in seltsamem Silberglanz glimmende Kammer.
Dann schießt der Lift in die Höhe. Unaufhaltsam streckt sich der dünne Stiel
unter der elliptischen Kammer, als wüchse er aus den Tiefen der Erde empor.
Hyazinth dirigiert den Aufstieg, indem er mit den Fingern hier und da gegen die
Innenwand des Gewächses tippt. In einer schraubenartigen Windung klettert der
Lift bis an die Spitze des Trägerkerns und hält vor Hyazinths Wohnblase. Es
scheint, als verschmelze er mit der Membran der Behausung, dann öffnet sich ein
Durchlaß. Noch bevor Federchen von Hyazinths Schultern springt, ist die Öffnung
wieder zugewachsen, und der Liftpilz löst sich in grünliche Nebelschwaden auf.
Gerade will Hyazinth sich seines
Mykorrhizatrikots entledigen, da vernimmt
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