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Copyworld: Roman (German Edition)

Copyworld: Roman (German Edition)

Titel: Copyworld: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Szameit
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er ein Geräusch. Wie eine eisige
Welle überflutet ihn die Angst, ohne daß er einen vernünftigen Grund dafür
wüßte. Eine Weile ist es ruhig. Dann wieder: Wie ein leises Stöhnen von
unterdrücktem Schmerz!
    Hyazinth ist unfähig sich zu
rühren. Das entsetzliche Geräusch läßt ihn zu Stein erstarren, und in seiner
Brust schlägt es wie ein Felsbrocken gegen die Rippen. Jeden Pulsschlag spürt
er stechend in den Schläfen und der Hals wird ihm trocken. Was ist das? Seine
Gedanken wirbeln wild durcheinander. Da ist sie wieder, jene Angst, die er
nicht benennen kann. Aber diesmal ist sie nicht still und unsichtbar, sondern
spricht zu ihm in einem grausigen Stöhnen.
    Auf einmal fällt es ihm wie
Schuppen von den Augen: Wölkchen! Aber in die Erleichterung mischt sich
sogleich furchtbares Entsetzen: Noch nie hat Wölkchen solche Töne von sich
gegeben – was ist mit ihr? Sie wird doch nicht sterben?!
    Mit einem Aufschrei stürzt er
durch das Dunkel zum Gelatinebecken seiner Wollbauchechse. Kaum hat er seine
Hände in den glitschigen Schleim getaucht, da flammt hinter ihm ein schwaches
Licht auf, und er hört einen erschreckten Ruf.
    Hyazinth fährt herum. Das
glimmende Pünktchen zittert durch die Dunkelheit und eine ängstliche Stimme
fragt: “Hyazinth, bist du das?”
    Im selben Moment hört er aus der
gleichen Richtung Wölkchens mißmutiges Brummen. Er starrt verwirrt in das
Dunkel. Das glimmende Licht schwankt hin und her, dann gerät ein Gesicht in
seinen schwachen Schein.
    “Rutila!” entfährt es ihm
verblüfft. Die Angst ist wie weggeblasen, und an ihre Stelle tritt nüchterne
Überlegung. Das grausige Stöhnen war so entsetzlich gar nicht, wenn er gewußt
hätte, wie dieses Geräusch zustande kam. Nun jedoch, da er Rutilas vom Schlaf
verquollenes Gesicht sieht, ist alles klar – sie hat in tiefem Schlummer
gelegen und geschnarcht.
    “Mach die Leuchtperle aus!” zischt
er böse. “Oder willst du, daß wir   von
der Schule fliegen?”
    “Nein, bitte, ich war solange
allein hier…” Der Klang ihrer Stimme wischt seinen Ärger beiseite, verwirrt
ihn.
    Das klang so hilflos und so
kläglich wie es ihn bei Jade nicht überrascht hätte, die immer etwas wehleidig
tat, wenn ihr irgendetwas nicht behagte. Aber zu Rutila paßt das ganz und gar
nicht. Zwar sieht er nur ihre linke Gesichtshälfte, aber sein Gedächtnis
vervollständigt das Bild wie von selbst: Eine stämmige, zwar ausgewogen proportionierte,
aber eben doch in allem etwas zu groß geratene junge Frau, deren Händedruck
derb und beinahe männlich, deren Lachen nicht gerade fein zu nennen, eher schon
grobschlächtig ist.
    “Aber wir bekommen ganz gewiß
Ärger”, sagt er verunsichert.
    “Du bekommst keinen Ärger. Es ist
meine Leuchtperle”, schluchzt Rutila. “Es ist nur meine, und dazu bekenne ich
mich…”
    Für einen Sekundenbruchteil
blitzt in Hyazinths Erinnerung der Wortlaut des zehnten Generalgebots auf:
Wache über deinen Nächsten, damit er nicht irrt! Aber er schiebt diesen
Gedanken sofort beiseite, sehnt er sich selbst doch schon seit Stunden nach
einem winzigen Licht, das seine Ängste vertreibt.
    “Gut”, sagt er leise, “laß es
brennen.” Dann geht er auf das Leuchten zu, nimmt es ihr aus der Hand und preßt
die kleine Lichtquelle gegen die Blasenmembran, wo sie haften bleibt.
    Seine Augen haben sich an das
Halbdunkel gewöhnt, und er sieht nun, daß Rutila mit angezogenen Beinen und
gekrümmtem Rücken, regelrecht zusammengerollt, auf seinem Lager liegt. Wölkchen
ächzt zwar beleidigt und schielt mit ihren Stielaugen auffordernd zu Hyazinth,
aber offenbar hat es die Wollbauchechse nicht gewagt, sich Rutilas Befehl zu
widersetzen.
    “Was willst du überhaupt?” fragt
er schließlich.
    Sie blickt ihn traurig an, und
Hyazinth bemerkt erneut und mit ebensolchem Staunen, wie zart die Züge ihres
Gesichtes sind, obgleich die Wangenknochen kräftig hervortreten und einen
gewissen Eindruck von Flächigkeit bewirken. Ihre grünen, weit aufgerissenen
Augen schillern seltsam im schwachen Widerschein der Leuchtperle, und die immer
glänzenden, wie zum Pfiff gespitzten Lippen beben leicht.
    “Ich möchte heute bei dir
bleiben”, sagt sie leise, beinahe flehend. Hyazinth steht erst fassungslos da
und schweigt. Damit, daß Rutila zu ihm kommen würde, hätte er nie gerechnet.
Diese Möglichkeit existierte in seinem Denken nicht, sie war für ihn nie eine
Frau gewesen, sondern immer nur Kamerad, Kumpel, beinahe Freund.

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