Coq 11
Spionagedozenten in Pjöngjang die Situation beurteilt hätten.
Zuerst hätten sie, im Sinne der alten Römer, gefragt: Cui bono – wem nützt es?
Die russischen Dozenten hätten dann dargelegt, dass Abu Hamza im eigenen Interesse handle, vorausgesetzt, er sei tatsächlich so verrückt, wie er sich gab.
Außerdem musste er im Interesse des MI5 handeln. Ein Sicherheitsdienst benötigte einige prominente Feinde und ganz besonders solche, die man vor den Augen der Öffentlichkeit unschädlich machen konnte. Wenn Abu Hamza kein Wahnsinniger war, der sich selbst erfunden hatte, musste der MI5 zumindest das Bedürfnis gehabt haben, ihn zu erfinden.
Aber so eine schematische Analyse erschien Mouna viel zu russisch und konservativ. Die Russen waren nie gezwungen gewesen, mit einer freien Presse und unterschiedlichen politischen Parteien zu operieren. Im Westen gab es Journalisten, die ihre Zeitungen verkaufen wollten, indem sie ihren Lesern mit Tod und Zerstörung drohten, und Politiker, die Stärke zeigen mussten, indem sie Gesetze gegen falsche Gottesbegriffe erließen oder sich für den großen Lauschangriff aussprachen. Da brauchte man viele Abu Hamzas.
All das war sehr unerfreulich und praktisch nicht zu beeinflussen. Auch wenn Abu Hamza und seinesgleichen ihre Hauptfeinde waren, konnte sie ihn nicht erschießen lassen. Nicht nur politische Probleme – wie den Verwicklungen im Falle einer Festnahme –, sondern auch ethische Erwägungen spielten eine Rolle.
Manchmal empfand sie sich schmerzhaft machtlos gegen all diesen Wahnwitz des religiösen Fanatismus, der in der gesamten westlichen Welt den Widerstandskampf in Verruf brachte. Ein einziger Hassprediger in London hatte mehr Gewicht als die israelische Besetzung von Palästina oder die Okkupation des Iraks durch die USA oder ein Angriff auf den Iran, den man in Washington bereits vorbereitete und zu dessen Rechtfertigung man lapidar auf die mögliche atomare Bedrohung durch die Mullahs verwies.
Es war sinnlos, sich bei ihren westlichen Kollegen zu beklagen. Bevor sie dazu käme, etwas zu erklären, würde man demonstrativ entnervte Gesichter aufsetzen und beginnen, sich über Politik und den ganzen hochtrabenden Quatsch zu mokieren.
Dennoch würde sie, auch um zu provozieren, diesen Gedankengang morgen beim MI5 vortragen. Abu Hamza war ihr Feind und ein Freund des britischen Sicherheitsdienstes. Eins war klar: Egal, wie gut sie eine solche Analyse verpackte, sie würden wütend reagieren. Doch das war in gewisser Weise Absicht, es war ein Teil des Köders.
Ihr war aber klar, dass sie manche Formulierungen mildern und einige Sarkasmen weglassen musste. Ihr Notebook wartete schon im Hotelzimmer auf sie. Einige Änderungen am Vortrag würden noch nötig sein. Es wurde gerade erst dunkel, und sie freute sich auf eine Beschäftigung, die weniger deprimierend war als das westliche Nachrichtenprogramm.
Im Hinblick auf den Teil ihres Vortrags, der sich mit den Brüdern Husseini beschäftigen würde, dem wichtigsten Grund für ihre Reise nach London und das Treffen mit ihren feindlichen Alliierten, fühlte sie sich sicherer. Er war gut vorbereitet. Hier musste sie keine Änderungen in letzter Sekunde vornehmen.
Der beige und rote Teppichboden hatte ein geometrisches Muster und eingewebte Gebetsteppiche, die nach Mekka ausgerichtet waren. Der zwanzig mal zwanzig Meter große Raum war momentan leer. Die Kuppel war blau und golden mit Fensterbögen im umayyadischen Stil, wenn er sich nicht irrte. Im unteren Teil der Kuppel befand sich ein Ring aus kleinen Fenstern mit blau gefärbtem Glas – einfach und stilvoll.
Die Moschee hier im Regent’s Park trug den fantasielosen Namen Zentralmoschee, war aber immerhin tatsächlich die größte in London. Grün eingebettet in eine Ecke des Parks lag sie außerdem ganz hübsch.
Als er hereinkam, verspürte er augenblicklich Frieden, es war geradezu rätselhaft. An seinem Arbeitsplatz dröhnte ständig laute Musik, und sein Inneres war immer in Aufruhr. Er musste bald etwas tun, nicht nur reden. Er musste hart zurückschlagen. Und er suchte nach Ratschlägen, die er in der Gesellschaft, in der er aufgewachsen war, niemals bekommen hätte.
Er war kein großer Moslem, das musste er zugeben. Sein älterer Bruder hatte ihn gedrängt, den neuen jungen Imam Abu Ghassan aufzusuchen. Auch sein Arabisch war schlecht. Seit seiner Jugend, als seine Eltern sich hatten scheiden lassen und sein Vater eine Engländerin
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