Coq 11
letzten Stück bis zum Stockholmer Flughafen Arlanda. So weit, so gut.
Leider hatten sich sämtliche Überlebende der sizilianischen Mafia mit unnachahmlicher Beharrlichkeit und einer gehörigen Portion Verschlagenheit darangemacht, der Reihe nach alle seine Familienmitglieder umzubringen. Auch ihn hatten sie einige Male zu töten versucht, aber das war nicht ganz so leicht gewesen wie der Mord an Frau und Kindern. Sie hatten seine erste Frau, seine zweite Frau und seine Kinder umgebracht und sich damit nicht zufriedengegeben. Am Ende war sogar seine alte Mutter bei einem Fest auf einem südschwedischen Schloss den Mafiosi zum Opfer gefallen.
Ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt aber hatte sich der schwedische Staat überlegt, er könnte den perfekten Chef des zivilen Sicherheitsdienstes abgeben. Sein kalifornischer Psychiater hatte seinen Ohren nicht getraut. Auch ohne medizinische Gutachten hätte man sich leicht ausmalen können, dass er der falsche Mann in der falschen Position war. Er hatte unter anderem Zugang zu den Namen und Adressen aller palästinensischen und kurdischen Verräter, die unter den politischen Flüchtlingen und Asylsuchenden ihr Unwesen trieben.
Und so war er auf die glänzende Idee gekommen, einen nach dem anderen umzulegen, um dem Elend ein Ende zu bereiten. Der Gedanke hatte nahe gelegen, denn schon sein Vorgänger hatte einige seiner unwilligen kurdischen Verräter ums Leben gebracht, indem er sie an die Terrororganisation PKK verraten hatte. Aber Auftragsmorde waren nicht sein Stil, er erledigte die Arbeit selbst.
Als er wieder bei Verstand war, oder wie auch immer man es nennen sollte, hatte ihn sein schlechtes Gewissen überwältigt. Er hatte sich gestellt, psychiatrischen Beistand abgelehnt und heroisch die Strafe auf sich genommen, die bei einem Serienmord natürlich nur Lebenslänglich heißen konnte. Sein Psychiater hier in San Diego hatte ihm überzeugend dargelegt, dass er damals in der Klinik besser aufgehoben gewesen wäre als im Gefängnis. Mittlerweile stimmte er ihm von ganzem Herzen zu.
Die prinzipientreue Entschlossenheit, mit der er zunächst den Preis für seine wahnsinnigen Taten hatte bezahlen wollen, war allerdings nach einer gewissen Zeit in der Zelle geschwunden. Er war einundvierzig Jahre alt gewesen, als er die lebenslängliche Freiheitsstrafe angetreten hatte.
Er war ausgebrochen, nach Kalifornien geflohen, hatte sich auf seine amerikanische Staatsangehörigkeit und sein Navy Cross berufen und war im Zeugenschutzprogramm des FBI untergekommen. Die Abmachung mit dem FBI war simpel. Er hatte sich verpflichtet, Kalifornien nicht zu verlassen. Sie hatten sich verpflichtet, ihn niemals auszuliefern oder seine Identität preiszugeben.
»Seit zehn Jahren spiele ich nun den Hamlon mit dem Pferdeschwanz«, schloss Carl seine Erzählung. Falls es der Sache dienlich wäre, könne er mit Sicherheit sagen, dass er nicht verrückt sei. Die Seelenklempner hätten ausgezeichnet an ihm verdient, aber das Geld sei gut angelegt gewesen.
Möglicherweise ließe sich noch hinzufügen, sagte er, dass es eine außerordentliche Erleichterung sei, zum ersten Mal seit zehn Jahren außerhalb einer Arztpraxis über das eigene Ich zu sprechen. Nun sei er Mounas Freund und Carl Gustaf Gilbert Hamilton und unter anderem Kommandant der palästinensischen Ehrenlegion. Es sei ein merkwürdiges Erlebnis, nach so langer Zeit die Tarnung aufzugeben und über sich selbst zu reden. Um das Gefühl zu vervollkommnen, hätte er eigentlich Schwedisch sprechen müssen.
»Ich hoffe, du hast eines Tages die Gelegenheit, deine Geschichte in deiner Muttersprache zu erzählen«, antwortete sie. »Im Moment wäre es zwar eher unpraktisch, aber ich weiß, wie du dich fühlst. Ich habe in Damaskus drei Jahre lang eine Syrerin gespielt, mit Schleier und allem Drum und Dran, und wäre am Ende beinahe durchgedreht. Man weiß nicht mehr, wer man ist; ob man eins mit seiner Rolle ist oder ob man sich seine Vergangenheit nur einbildet. – Okay, Carl, deine Geschichte hat mir gefallen. Ich meine, es freut mich, dass du in viel besserer Verfassung bist, als ich zu hoffen gewagt habe.«
»Danke, Mouna, nun bist du dran.«
»Nein, noch nicht, ich bin noch lange nicht fertig mit dir, mein Freund. Was ist der Sinn des Lebens?«
»Verzeihung, was hast du gesagt?«
»Du hast mich richtig verstanden. Was ist der Sinn deines Lebens?«
Eine Zeit lang sahen sie sich schweigend an. Er versuchte, an ihrem Gesicht abzulesen,
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