Coq 11
einem U-Boot nicht, bekam Ibra eine Art Sprachunterricht von einem Kapitän, der zumindest dem Aussehen nach die Erwartungen an einen russischen U-Boot-Offizier erfüllte. Er wirkte wie ein rasierter Bär und hatte einen hochroten Kopf. Er hatte sich als Jewgenij Kasatonow vorgestellt und gleich zu Beginn erklärt, er spreche kein Wort Arabisch, aber gut Englisch. In den fast vier Monaten in der polaren Dunkelheit hatte Ibra genug Russisch aufgeschnappt, um diese erfreuliche Nachricht zu verstehen. Erleichtert antwortete er in seinem Queen’s English, dies würde die Kommunikation erheblich vereinfachen. Doch Genosse Kapitän Kasatonow hatte ein wenig übertrieben. Sein englischer Wortschatz beschränkte sich auf einige üble Schimpfworte, ein primitives Wort für Geschlechtsverkehr sowie Ja und Nein.
Der Unterricht lief also Russisch-Russisch ab.
Der Seebär ging pädagogisch vor. Er zeigte zunächst auf Ibras grüne Schulterklappen und sprach das Wort seljonnij aus. Anschließend zeigte er auf ein weißes Blatt Papier und sagte bjelij. Damit schien die Farbenlehre vorerst abgeschlossen. Erneut zeigte er auf die Schulterklappen und fragte: Musulman?
Ibra nickte zustimmend. Allmählich kamen ihm Zweifel am Aufbau der Lektionen.
Das nächste Wort, das er lernte, war Swinina. Sie saßen nämlich im größten Raum des U-Boots, der als Speisesaal, Aufenthaltsraum, Bibliothek, Studierzimmer, in einem abgetrennten Bereich auch als Offiziersmesse, und als Schachtreff diente. Über dem Kopf des Russen hing ein Porträt von Präsident Wladimir W. Putin, der mit der Wintermütze der russischen Flotte auf dem Kopf sehr entschlossen schräg nach oben, Richtung Zukunft blickte. »Swinina, Swinina«, wiederholte der Russe und grinste dabei. Der Begriff Swinina war also wichtig, oder vielmehr unterhaltsam. Genosse Kapitän Kasatonow zeichnete ein Schwein auf das weiße Blatt und grunzte dazu täuschend echt. Dann zeigte er zum Tresen, wo sich gerade zwei Torpedomatrosen ihr Abendessen abholten, und ließ sich offenbar über die ausgeprägte Vorliebe des russischen Volkes für Schweinefleisch aus. Noch einmal ahmte er ein nahezu perfektes Grunzen nach, schüttete sich aus vor Lachen, fügte irgendetwas von »viel Schwein« hinzu und zeigte auf die Kombüse.
Das hier ist nicht gerade Cambridge; was, zum Teufel, mache ich hier eigentlich, dachte Ibra und versuchte zu lächeln. Zweihundert Meter unter dem Wasserspiegel sollte man keinen Streit anfangen. Lieber ergriff er die Initiative im Unterricht.
Er zeichnete einen Schaltplan des Datenverarbeitungssystems in der Kommandozentrale und zeigte darauf.
»Kompjuter?«, fragte er und erntete ein fröhliches Nicken. Er arbeitete sich durch Kabel, Tastatur, Bildschirm, Frequenz, Sonarsystem, Ton, Kavitationston, Licht, Laser und alles, was ihm einfiel. Dann skizzierte er die Konturen eines U-Bootes und fragte nach Rumpf, Druckrumpf, Stabilisatoren, Propellern, Torpedoluke, Torpedorohr, Rettungsfahrzeug, Elektroantrieb, Brennzellen und so weiter. Auf diese Weise kam das Ganze zwar in Fluss, aber der Tonfall, in dem dieser Seebär das Wort Musulman ausgesprochen hatte, verhieß nichts Gutes.
Erstaunlich schnell gewöhnten sich ihre Körper an den Acht-Stunden-Rhythmus. Sie lernten, augenblicklich in Tiefschlaf zu fallen, und waren ausgeschlafen, wenn der Bettgenosse sie weckte. Das nützlichste Russisch schnappten sie von den Technikern an den Computern und Bildschirmen auf. Und mit der Zeit lernten sie auch die anderen Palästinenser an Bord kennen. Fast alle waren gut ausgebildete Fachleute auf verschiedenen technischen Gebieten, und die übrigen waren im Brandschutz des Fahrzeugs beschäftigt. Sie stellten sich als echt harte Kerle von der PLO vor, hatten aber ganz offenbar mit deren Nachrichtendienst nicht das Geringste zu tun. An Bord befanden sich sechzehn Palästinenser, weitere vier führten an Land Übungen mit einem kleinformatigen Unterwasserfahrzeug durch, das im Bug des U-Boots untergebracht werden sollte, wo man Platz dafür geschaffen hatte, indem man anstelle des einen Atomreaktors Dieselmotoren verwendete.
Doch sechzehn Palästinenser in einer Besatzung von insgesamt zweiundfünfzig Männern bedeuteten ein unerwartetes Problem. Wären es achtzehn »Araber« gewesen, wie die Russen sie nannten, wenn einer der sechzehn anwesend war, oder achtzehn »Tschetschenen« oder »Terroristen«, wie man die Gäste an Bord nannte, wenn man annahm, dass sie nicht zuhörten,
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