Coq Rouge
man keine Ahnung hatte, wo, wann oder wie etwas passieren würde.
In Schweden gibt es mindestens fünftausend denkbare Sabotageziele, wenn man nur die Sachziele rechnet. Hinzu kommen rund hundert Personen an der Spitze von Industrie, Polizei, Militär und Verwaltung, die sämtlich keinen Personenschutz genießen, und theoretisch ließe sich auch etwa das halbe diplomatische Corps als Zielscheibe von Terroraktionen denken.
Wenn sich nun eine qualifizierte Terroristengruppe in Schweden aufhielt und mit ihren Vorbereitungen schon so weit gekommen war, daß man einen leitenden Mann beim Sicherheitsdienst lieber tötete als die Aktion abzublasen, und wenn diese Terroristengruppe schwedischen Boden betreten hatte, ohne daß sich beim Sicherheitsdienst auch nur der kleinste Hinweis darauf fand und ohne daß einer der verbündeten europäischen Sicherheitsdienste auch nur den kleinsten Tip gegeben hatte … und wenn diese Terroristen nun durch die Presse darüber aufgeklärt wurden, daß die Luft rein war, konnte es jederzeit und überall, in ein paar Stunden oder Tagen, zur Katastrophe kommen.
Der Reichspolizeichef war fest entschlossen, alle Gerüchte zu dementieren.
Das versuchte er wohl auch, aber der Versuch geriet so, daß das Auftreten des Reichspolizeichefs in Rundfunk und Fernsehen an diesem ersten Tag in allen Punkten als Bestätigung dessen diente, was man in den Fluren des Polizeihauses schon vermutet hatte und was dann per Telefon der Presse zugeflüstert worden war.
Und falls der Reichspolizeichef noch nach zwei Jahren als formal höchster Vertreter der Polizei naive Vorstellungen davon hatte, er könne mit seinen beamtenhaften und korrekten Aussagen die Massenmedien korrigieren, erhielt er an diesem Tag eine harte Lektion.
Das eigentliche Fernseh-Ritual hatte er schon mindestens zehnmal miterlebt. Auch die Fragen waren vorhersehbar. Die Fernsehleute würden natürlich wissen wollen, ob die palästinensische Terrororganisation Schwarzer September den hohen Beamten der Sicherheitsabteilung ermordet hatte, der unter anderem für die Jagd auf palästinensische Terroristen zuständig gewesen war. Die korrekte Antwort lautete, das wisse man nicht.
Wirklich fest stand nur, daß Axel Folkesson etwa um 7.30 Uhr in seinem Wagen erschossen worden und die Mordwaffe sowjetischer Herkunft war und daß der Mörder mit einer Kälte und Gelassenheit gehandelt hatte, die nur einen Schluß zuließ: Er war ein Profi.
Die vorläufigen technischen Untersuchungen des Tages hatten nur die erwarteten negativen Ergebnisse erbracht. Die Waffe wies keine Fingerabdrücke auf, und die sieben restlichen Patronen im Magazin waren sorgfältig abgewischt und gesäubert worden. Die Fingerabdrücke, welche die Techniker bislang im Wagen selbst hatten sichern können, stammten, soweit sich bisher ermitteln ließ, entweder von Folkesson selbst oder einem Mitglied seiner Familie. Außerdem war der ganze Fahrgastraum um den Beifahrersitz herum sorgfältigst gereinigt worden. Der Mörder war nach dem Schuß also noch kurz im Wagen geblieben eine Bestätigung seiner Kaltblütigkeit.
Man konnte davon ausgehen, daß der Mord einen politischen oder sicherheitspolizeilichen Hintergrund hatte. Soweit sich beurteilen ließ, hatte Folkesson alle persönlichen Gegenstände noch bei sich. In der Innentasche steckte seine Brieftasche, die mehrere tausend Kronen in Hundertern enthielt, Geld, über das er verfügte, um Tips oder Informanten zu bezahlen.
Das hatte den Mörder also nicht im geringsten interessiert. Und im Handschuhfach des Wagens lag Folkessons Dienstpistole ohne Schulterholster. Die Waffe war mit einem vollen Magazin geladen, jedoch gesichert.
Man konnte folglich jedes finanzielle oder persönliche Motiv ausschließen, aber dies war bis auf weiteres eine nur auf Erfahrung gegründete Vermutung.
Es dürfte also keine Spekulationen geben, dachte der Reichspolizeichef, als das erste Fernsehteam sein Amtszimmer betrat und die Spotlights aufbaute.
Die Nachrichtensendung Rapport sollte den Anfang machen, während das Aktuellt-Team noch draußen saß und wartete.
Der Rapport-Reporter trug einen grünen Parka mit der gelben Aufschrift Sveriges Radio auf der einen Schulter. Er warf die Jacke lässig auf einen der Besucherstühle, während sein Begleiter die Bühne für das kommende Verhör herrichtete.
Ein Techniker hielt dem Reichspolizeichef einen Belichtungsmesser direkt unter die Nase, im nächsten Augenblick kam ein anderer mit einer
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