Coq Rouge
Terroristen Schaden anrichten können.
Aber wenn dies der Hintergrund des Mordes ist, dann muß Axel Folkesson einen folgenschweren Fehler begangen haben. Statt ihre Pläne aufzugeben, beschlossen die Terroristen, den schwedischen Sicherheitsbeamten aus dem Weg zu räumen …
Der Reichspolizeichef las die Abendzeitungen erst gegen vier Uhr, eine Stunde, bevor er den beiden Nachrichtensendungen des Fernsehens wie versprochen Fragen beantworten wollte. Er hatte schon um die Mittagszeit beschlossen, persönlich für die Polizei zu sprechen, damit das, was an die Öffentlichkeit gegeben wurde, halbwegs unter Kontrolle blieb. Er war Beamter und war immer Beamter gewesen, hatte als Staatsanwalt Karriere gemacht und den Posten eines Kronanwalts erreicht und saß jetzt ein paar Jahre als Reichspolizeichef ab, bevor er Landeshauptmann werden und durch einen sozialdemokratischen Reichspolizeichef abgelöst werden würde, falls es bei der nächsten Wahl nicht zu einer bürgerlichen Regierung kam.
Seine Erfahrungen mit dem harten Druck der Massenmedien war folglich begrenzter, als wenn er eine gewöhnliche Polizeikarriere hinter sich gebracht hätte.
Jetzt saß er in einer Mischung aus Wut und Verblüffung mit Stockholms zwei Abendzeitungen vor der Nase und ertappte sich zum erstenmal seit vielen Jahren bei dem Wunsch, daß es in bestimmten Situationen eine Zensur geben sollte.
Was in den beiden Abendzeitungen stand, stimmte zwar recht genau mit einigen Theorien und Vermutungen überein, die im Polizeihaus im Lauf des Tages die Runde gemacht hatten. Natürlich lag der Schluß nahe, daß die Mörder Terroristen waren, das war eine durchaus mögliche Hypothese. Und natürlich war es möglich, daß Axel Folkesson selbst präventiv einen Kontakt gesucht hatte. Dieses Verfahren wird gelegentlich angewendet, wenn man einen Ausländer nachrichtendienstlicher Tätigkeit verdächtigt: Ein Sicherheitsbeamter wendet sich an eine Person, die im Verdacht steht, Informant einer fremden Macht zu sein, und tut dann so, als warne er den Verdächtigten in aller Freundschaft vor ungeeigneten oder gefährlichen Kontakten. Je nach Reaktion des Verdächtigten kann man in manchen Fällen eine Bestätigung dafür erhalten, daß dieser oder jener sowjetische Diplomat tatsächlich als Führungsoffizier bestimmter Informanten arbeitet (es hatte ein paar vereinzelte Operationen dieser Art gegeben, was die Presse später zum Anlaß nahm, so etwas zum Regelfall zu erheben; und die Sicherheitspolizei hatte diese Fälle dann als Erklärung dafür verwendet, weshalb man niemals Spione fasse, da man nämlich schon vorher »zuschlage«, bevor sie Spione werden könnten).
Natürlich ließ sich denken, daß der Täter Palästinenser war, wenn man in Axel Folkessons verschiedenen Arbeitsbereichen botanisierte. Die westdeutschen Terroristen waren in ihrer ersten, international ausgerichteten Generation ausgerottet, und die jetzt vorhandene dritte Terroristengeneration in der Bundesrepublik war, jedenfalls nach dem Urteil der westdeutschen Kollegen, an Aktionen in Schweden weder interessiert noch überhaupt dazu fähig.
Möglicherweise ließen sich Kurden oder Armenier als Alternative vorstellen, aber diese besaßen wiederum nicht die Kompetenz der Palästinenser, also waren Palästinenser als Täter wahrscheinlicher. Die russische Armeewaffe hatte die Gedanken wie selbstverständlich in Richtung Naher Osten geführt.
Die Spekulationen der Zeitungen waren an und für sich gar nicht so dumm, es sei denn in der Frage des »Schwarzen September«, denn die Kollegen von Axel Folkessons Abteilung hatten versichert, daß Schwarzer September eher so etwas wie ein Sammelbegriff ganz verschiedener palästinensischer Aktionen mit manchmal völlig unterschiedlichen Motiven und Urhebern sei.
Der Reichspolizeichef tobte, obwohl die Spekulationen weder dumm noch unrealistisch waren. Daß aber vage Arbeitshypothesen schon am ersten Tag in der Presse auftauchten, war ein offenkundiger operativer Nachteil (der ehemalige Staatsanwalt hatte seiner Sprache in zweijährigem Umgang mit dem Sicherheitsdienst einige Begriffe dieser Art einverleibt). Wenn nun das, was in den Zeitungen stand, völlig falsch war, würde der Gegner erfahren, daß ihm niemand auf der Spur war. Das war nicht gut. Denn wenn das Motiv nun wirklich gewesen wäre, Axel Folkesson aus dem Weg zu räumen, damit dieser eine größere Operation nicht mehr vereiteln konnte, war die Situation ja tatsächlich so, daß
Weitere Kostenlose Bücher